Jenseits von Feuerland: Roman
vorzustellen, Emilia hingegen klang anerkennend, als sie fragte: »Und sie hat ihr ganzes Geld mit einem Bordell gemacht?«
»Auch, aber nicht nur«, sagte Ana. »Ich weiß nicht, an wie vielen Geschäften genau sie beteiligt ist, aber fest steht, dass in Punta Arenas nichts ohne ihr Wissen geschieht. Sie lebte schon hier, als die Stadt kaum mehr als ein Rattenloch war, und verdiente schon damals den Grundstock ihres Vermögens. Heute vergibt sie viele Kredite – viel schneller als die Banken, aber ungleich höher verzinst.«
»Ana, wo bleibst du?« Ernesta Villan sah nicht nur aus wie ein Raubvogel, sondern hatte auch dessen krächzende Stimme.
Ana verdrehte die Augen. »Ich muss nun gehen. Aber habt Dank … für alles.«
Immer noch konnte Rita die Augen nicht von der sonderlichen Puffmutter lassen. Ohne Zweifel war es unangenehm, diesen stechenden Blick auf sich zu spüren, aber zugleich wirkte sie so grotesk, dass ihr ausnahmsweise eher zum Lachen als zum Weinen zumute war.
Auch als sie Ernesta Villan längst hinter sich gelassen hatten, hing der Geruch des süßlichen Parfüms wie eine Wolke über ihnen. Emilia war sich sicher, es noch über Tage riechen zu können. Rita wiederum schien ein bestimmter Anblick nachhaltig zu beschäftigen.
»Hast du sie gesehen?«, fragte sie ein ums andere Mal aufgeregt. So lebhaft und auch belustigt hatte sie schon lange nicht mehr geklungen.
»Was?«
»Diese riesigen Ohrringe, die Ernesta Villan trug!«, rief Rita.
»Ihre Ohrläppchen sind doppelt so lang wie die einer normalen Frau«, bemerkte Emilia trocken, »irgendwann werden sie wahrscheinlich wegen des Gewichts der Klunker durchreißen.«
Rita kicherte – und das klang noch fremder als ihre aufgeregte Stimme. Emilia versuchte, sich daran zu erinnern, wann sie sie jemals hatte lachen hören, doch ihr fiel keine einzige Gelegenheit ein. Erstaunlich, dass sie es ausgerechnet jetzt konnte, da sie doch dem furchtbaren Esteban begegnet waren.
»Wenn Gäste über Ernesta Villan sprechen«, erzählte sie, »heißt es immer, sie sei die geldgierigste Frau in Punta Arenas. Nun, geizig scheint sie wohl nicht zu sein – zumindest nicht, wenn es darum geht, das Geld für sich selbst auszugeben.«
»Aber wenn wir Ana glauben können, so muss man sich in ihren Wohnräumen schrecklich unwohl fühlen.«
»Man kann von ihr sagen, was man will – um hier reich zu werden, muss man schon geschäftstüchtig sein.«
Sie sprach es nicht aus, aber im kurzen Schweigen, das folgte, galten ihrer beiden Gedanken jenen, die Ernesta den Luxus erst ermöglichten.
»Arme Anastasia«, seufzte Rita.
»Sie macht den Eindruck, als wäre sie eine, die sich durchbringt«, sagte Emilia leise.
Sie konnte dennoch nicht verhindern zu erschaudern. Manchmal war ihr die Schufterei der letzten Monate fast zu viel geworden, aber nun war sie ungemein dankbar, dass sie in einer Herberge arbeiteten. Frauen in ihrer Lage konnte es viel übler treffen. Eine Erinnerung stieg in ihr hoch, die sie schon seit langem vergessen geglaubt hatte – an jene Reise, die sie einst mit Manuel nach Valparaíso unternommen und die vorschnell geendet hatte, als sie überfallen und sie selbst in ein Bordell verschleppt worden war. Sie wurde nicht zuletzt dank Manuels Hilfe gerettet, doch es hätte böse enden können. Aus ihrem Entsetzen wurde Wehmut. Manuel … ach Manuel …
Energisch schüttelte sie den Kopf.
»Wir müssen uns beeilen«, rief sie energisch, »und endlich unsere Einkäufe machen und dann für den Abend kochen.«
Ob sie die Begegnung mit Ernesta beflügelt hatte oder die Vorstellung, dass sie nicht wie Ana geendet war, wusste Emilia nicht, doch Rita beschleunigte tatsächlich ihre Schritte, und wenig später – mittlerweile senkte sich Dämmerlicht über die Stadt – schleppten sie beide schwer an den Einkäufen, ohne dass Rita wie gewöhnlich klagte. Sie hatten Zucker, Reis und Kartoffeln gekauft, frischen Fisch, Muscheln und Kaffee.
Erst als sie in der Herberge ankamen, wurde Emilia bewusst, wie viel Zeit sie verloren hatten, als sie Ana erst vor Esteban gerettet und ihr dann zu Ernesta Villan gefolgt waren. Es war schon spät, fast Abend. Aus der Gaststube hörte man Gemurmel. Die Hälfte der Tische war bereits besetzt – mit Gästen, die hier nächtigten, oder Menschen, die in Punta Arenas lebten, aber von ihrem mittlerweile vielgerühmten Essen angelockt waren. Nichts davon war nun fertig – sie konnte nur hoffen, dass
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