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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Male an ihrem Hals waren verblasst. »Esteban lauert Frauen gerne auf, wenn sie allein sind, um seine ganze Macht über sie auszuspielen. Aber sobald sie sich entschieden wehren oder gar Hilfe bekommen, zieht er den Schwanz ein.«
    Ihre Worte waren ebenso schwer zu verstehen wie die Flüche auf Esteban, die sie nun hinzusetzte: Zum einen sprach sie mit einer tiefen, grollenden Stimme, die nicht zu ihrer dürren Figur passte, zum anderen mit einem starken Akzent, den Rita noch nie gehört hatte.
    Auch ihre Kleidung war ungewöhnlich. Schon vorhin war es Rita obszön erschienen, wie hoch sie den Rock gerissen hatte, um schneller laufen zu können. Nun erkannte sie, dass dieser Rock, selbst wenn er über ihre Beine fiel, ihr kaum über die Knie reichte und Füße und Waden nackt ließ. Spitzen quollen darunter hervor, allerdings dreckig und zerrissen. Oben trug sie ein rotes, tiefausgeschnittenes und engsitzendes Mieder, über das üppige Brüste wohl hervorgequollen wären – doch solche hatte das Mädchen nicht, war vielmehr mager wie ein Knabe. Der Stoff, aus dem das Mieder genäht worden war, glänzte speckig, und an manchen Stellen platzten schlampig gemachte Nähte auf.
    Während Rita die Fremde nur unverhohlen anstarrte, fragte Emilia neugierig: »Und wer bist du?«
    Die Fremde lächelte halbherzig. »Sieht man das nicht?«, gab sie barsch zurück. »Eine Hure natürlich.«
    Rita zuckte zusammen, doch Emilia hielt dem forschen, etwas harten Blick ungerührt stand. »Auch Huren haben Namen. Du klingst überdies nicht so, als stammst du von hier.«
    »Das stimmt. Meine Eltern waren Russen, und ich heiße Anastasia, aber da hierzulande keiner diesen Namen ordentlich aussprechen kann, ruft man mich Ana.«
    Sie zuckte die Schultern, als täte ihr Name, auch wenn sie ihn aus Höflichkeit genannt hatte, nichts zur Sache.
    »Normalerweise arbeite ich nicht auf offener Straße, sondern in einem Bordell«, fuhr sie unverblümt fort, »Ernesta – ihr gehört dieses Bordell – hat dort genügend Männer zu unser aller Sicherheit postiert. Die achten darauf, dass uns kein Betrunkener irrtümlich die Kehle aufschlitzt. Und – was Ernesta noch wichtiger ist – dass keiner das Bordell verlässt, der nicht bezahlt hat. In gewisser Weise hatte Esteban recht. Ich bin selber schuld, dass ich in diese Lage geraten bin. Eine gute Hure lässt sich davor bezahlen. Nicht danach. Und ich hätte mich gar nicht erst mit Esteban einlassen dürfen, da ich doch bereits so oft gehört habe, dass er zu den Männern gehört, die keinen Funken Ehre im Leib haben.«
    Rita hatte sich unwillkürlich geduckt, als von aufgeschlitzten Kehlen die Rede war, und noch mehr, als die junge Frau von Esteban sprach.
    Emilia indes nickte grimmig. »Ein Schuft ist er trotzdem«, sagte sie. »Wir begleiten dich … nach Hause.«
    Ana grinste. »Nach Hause? Pah! Ein Zuhause habe ich schon lange nicht mehr. Ich habe nur ein Loch gefunden, wo ich nicht verhungern und erfrieren muss.«
    Sie ging auf Emilias Angebot, sie zu begleiten, nicht ein, sondern drehte sich wortlos um und schritt davon. Rita hätte es gerne dabei belassen, doch aus Gründen, die sie nicht verstand, folgte Emilia Ana, so dass auch ihr selbst nichts übrigblieb, als mitzugehen.
    Erst nach einer Weile drehte sich Ana weiterhin grinsend nach ihnen um. »Ihr müsst nicht auf mich achtgeben«, rief sie aus. »So, wie ihr ausseht«, ihr Blick schweifte bei diesen Worten abfällig über Rita, »braucht ihr weitaus mehr Schutz als ich.«
    »Wenn wir … wenn ich vorhin nicht eingegriffen hätte, dann hättest du Esteban das Geld nicht aus der Tasche ziehen können«, hielt Emilia entgegen. »Er könnte immer noch irgendwo lauern, um es dir wieder abzunehmen. Also sei froh, wenn du nicht alleine gehen musst.«
    »Das ist wahr«, gab Ana leichtfertig zu. »Und meinetwegen zeige ich euch gerne die verruchteste Straße von Punta Arenas!«
    Rita wusste nicht, wo sie hinsehen sollte, als sie genau diese Straße erreichten. Mehrere Saloons, Bordelle und Wirtshäuser waren hier dicht nebeneinander errichtet, allesamt so schief gebaut, dass wohl ein heftiger Windstoß ausgereicht hätte, um sie zum Einstürzen zu bringen. Leichtbekleidete Frauen lungerten auf der Straße herum oder starrten aus den geöffneten Fenstern, Geruch von Branntwein hing in der Luft, und das Grölen der Männer, das Rita aus der Gaststube der Herberge kannte, klang hier noch lallender und ausgelassener als

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