Jenseits von Feuerland: Roman
Agustina schon das eine oder andere vorbereitet hatte.
Hastig eilte sie an den Gästen vorbei in die Küche. Im Herd brannte wie immer ein Feuer, doch die Schüsseln, die darüber hingen, waren leer. Und Agustina putzte auch kein Gemüse oder schnitt Fleisch klein, sondern blickte ihnen mit in die Hüfte gestemmten Händen entgegen.
»Es tut mir leid, dass wir so spät sind, aber …«
Da erst fiel Emilia das freudige Lächeln von Agustina auf. Ihre Augen strahlten glücklich, und die fahle, runzelige Haut schien zu glänzen. Ansonsten stand sie immer leicht gekrümmt, nun hatte sie ihren Rücken durchgestreckt. Das Glück schien sie um Jahre jünger zu machen. Emilia war verwirrt und blickte sich suchend um, um zu erkennen, woher dieses Glück rührte.
Als sie die Gestalt sah, die in der Nähe des Ofens lehnte, rutschte ihr der Korb aus der Hand, und die Kartoffeln kullerten über den Boden.
Rita schrie auf, und Emilia konnte sich nur mühsam den gleichen Laut verkneifen.
»Was … was …«, setzte sie stammelnd an.
Vor ihnen stand niemand anderer als Esteban. In seinem Gesicht zeigte sich ein Lächeln wie bei Agustina – bei ihm jedoch ungleich verzerrter, bösartiger.
»Stellt euch nur vor!«, rief Agustina mit fröhlicher Stimme, noch ehe er etwas sagen konnte. »Mein Sohn ist endlich wieder aus dem Norden zurückgekehrt!«
10. Kapitel
E ine Weile herrschte Schweigen. Rita stieß keinen weiteren Schrei aus, sondern war vor Schreck verstummt, und auch Emilia brachte kein Wort mehr über die Lippen, seit ihr aufgegangen war, dass Esteban Agustina Ayarzas Sohn war. Kurz erfasste sie nicht Entsetzen, sondern Wut – als wäre nicht der Zufall schuld an diesem Zusammentreffen, sondern eine finstere Verschwörung, ja, als hätte Agustina sich aus purer Bösartigkeit unter den Millionen Männern Chiles ausgerechnet jenen zum Nachwuchs erkoren, der ihnen am meisten zugesetzt hatte. Das war natürlich Unsinn, doch auch Agustina merkte nun, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Ihr Lächeln schwand, als sie verwirrt von einem zum anderen blickte. Esteban dagegen grinste weiterhin böse.
»Warum sagt ihr denn nichts?«, fragte Agustina unsicher.
Emilia löste sich aus ihrer Starre. »Das ist also dein Sohn«, stellte sie mit zittriger Stimme fest. Sie überlegte, was Agustina ihr über ihn erzählt hatte – dass er der uneheliche Sohn eines Offiziers war, der sie im Stich gelassen und den sie ganz alleine hatte aufziehen müssen, dass es ihn nach Norden gezogen hatte, um dort in den Kupferminen zu arbeiten, dass er ihr jedoch von dort niemals Geld schickte. Nun verstand sie auch, warum. Er war wohl nie bei den Kupferminen angekommen, sondern hatte unterwegs bei Pedro el Ballenero angeheuert, an dessen Seite man zwar viel von Chile sah, aber gewiss nicht reich wurde. Und dann war er schmählich von dessen Schaluppe gejagt worden – ihretwegen. In den Monaten, die gefolgt waren, hatte er wohl nichts Vernünftiges gearbeitet, sondern bestenfalls genug, um sich regelmäßig zu besaufen. Davon kündete zumindest die Farbe seines Gesichts: Immer noch wirkte die Haut ziemlich fahl, doch kleine rote Äderchen saßen wie Gewürm auf Backen und Nase. Das Haar hing tief wie eh und je über die Augen, aber es verbarg nicht deren gefährliches Glimmen. Am meisten wurde Estebans Gesicht jedoch von der Narbe auf seiner Wange verunstaltet – eine dicke, rötliche Geschwulst, das Andenken an den Messerhieb, den Rita ihm versetzt hatte.
»Soso«, setzte er mit nahezu fröhlich beschwingter Stimme an. »Das Mannweib und die Rothaut machen es sich hier gemütlich.«
Agustina zuckte kaum merklich zusammen. »Ihr kennt euch bereits?«
Esteban blickte sich vermeintlich wohlwollend um. »Ihr beiden habt hübsch sauber gemacht«, stellte er fest. »Beim letzten Mal war das hier ein stinkendes Drecksloch.« Mit dem Kinn deutete er auf Mehl und Eier. »Vielleicht kannst du mir wieder einmal eine Empanada backen … so wie auf der Schaluppe. In Erinnerung an gute alte Zeiten sozusagen.«
»Ich denke nicht daran«, rutschte es Emilia kaum lauter als ein Zischen heraus. Eine Gänsehaut überzog ihre Arme.
»Wenn ihr hier Geld verdienen wollt«, fuhr er seelenruhig fort, »kann ich mir ein paar zusätzliche Pflichten vorstellen, die ihr übernehmen könnt.«
Angelegentlich machte er einen Schritt in die Mitte der Küche. Emilia glaubte schon, er wollte zu ihr treten, und wich unwillkürlich zurück, doch stattdessen hatte
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