Jenseits von Feuerland: Roman
Überhaupt glaubte er, keinen Augenblick länger aufrecht stehen zu können.
»Bitte, Onkel … ich muss das alles erst irgendwie verdauen … Ich will mich ein wenig ausruhen, und hinterher können wir immer noch darüber sprechen … und …«
Doch Onkel Gustav schonte ihn nicht. Er packte ihn ungewohnt fest an den Schultern und sah ihm streng in sein Gesicht. »Doktor van Sweeten erwartet, dass das Geschäft besiegelt wird, indem du Nora heiratest.« Er machte eine kurze Pause, ehe er hinzufügte: »Und ich, Arthur, ich erwarte das auch.«
Die Plätzchen waren zuckersüß, die Gespräche holprig und sämtliche Gesten verkrampft.
Nur Balthasar hatte seine Freude – Balthasar, der in den letzten Tagen noch mehr zeichnete als sonst. Schon nach dem ersten Besuch der van Sweetens hatte er Porträts von allen Familienmitgliedern gemacht. Auch das Begräbnis von Arthur Hoffmann senior, bei dem die van Sweetens natürlich anwesend waren, hatte er ausführlich dokumentiert. Und bei ihrem nunmehr dritten Besuch prägte er sich mit flinken Augen alle Feinheiten ein, um seine künftigen Porträts noch subtiler und wahrheitsgetreuer anzufertigen.
Doktor August van Sweeten war auf Balthasars Bildern ein großer, dünner, in Schwarz gekleideter Mann mit schmalem Gesicht und ausdruckslosem Blick. Arthur meinte, er käme viel zu gut darauf weg. Noch nie in seinem Leben hatte er einen derart reglosen Menschen gesehen. Seiner Meinung nach hatte August van Sweeten seinen Kopf noch nie nach rechts oder links verdreht – undenkbar, wie er mit dieser Körperhaltung jemals Patienten untersucht hätte. Nun, vielleicht war das der Grund, warum er in ihre Apotheke investieren wollte – weil er sich dann nie wieder über Kranke beugen müsste.
Seine Gattin Eleonore hatte einen kleinen Mops, dem sie überaus ähnlich sah. Zumindest traten ihnen beiden Kulleraugen aus dem runden Gesicht, und diese wirkten bei beiden zugleich dümmlich und arrogant. Der größte Unterschied war, dass dem Mops ständig die Zunge aus dem Maul hing, Eleonore jedoch nicht.
Und dann gab es Clarissa, Noras Schwester und damit seine künftige Schwägerin, die keinen Schritt ging, ohne sich bei ihrem Gatten einzuhaken. Balthasar zeichnete sie mit rosiger, glatter Haut, wohingegen Arthur meinte, das sei viel zu schmeichelhaft – die Haut war zwar tatsächlich prall, die Kleidung allerdings so eng, dass an vielen Stellen des Körpers fette, kleine Würstchen hervorquollen. Immerhin war sie gewandter als ihr Gatte, redete gerne und lächelte viel, wobei besagter Rudi so steif wie sein Schwiegervater war und man ihn, nicht sie, für einen Blutsverwandten von Doktor van Sweeten hätte halten können. Ob steif und schweigsam oder nicht – Clarissa schien den Gatten zu lieben oder tat zumindest so. Sie bezeichnete ihn ungeniert vor allen Leuten als ihren Herzbuben, und das mit einer schrillen, affektierten Stimme, die Arthur schon nach dem ersten Treffen unerträglich fand. »Ach was!«, hatte Balthasar gemeint. »Genau genommen, ist Clarissa dein Beuteschema. Würde sie nicht deine Schwägerin werden, hättest du längst begonnen, sie zu umwerben.«
Arthur gestand es dem Freund gegenüber nicht ein, gab ihm jedoch insgeheim recht. Clarissa war etwas üppig, aber ihre Züge sehr fein, ihr lockiges Haar weizenblond, und der schrillen Stimme konnte man ja entgehen, indem man sie zum Schweigen brachte – Arthur wäre da durchaus die eine oder andere Maßnahme eingefallen. Ja, Clarissa war halbwegs hübsch anzusehen, was wiederum der Grund war, warum sie schon in jungen Jahren geheiratet hatte – ihre Schwester Nora hingegen nicht.
Wirklich hässlich war Nora nicht. Balthasar fand sie sogar ausgesprochen ansehnlich, aber so wie Clarissa nach der Mutter kam, kam Nora nach dem Vater. Sie war unnahbar, ernst und wirkte neben der rosigen Schwester wie eine Krähe. Sie trug ihre dunklen Haare stets zu einem festen Knoten gebunden, der sie um Jahre älter machte. Das einzige verspielte Element an ihrer Erscheinung war eine Schleife, die die Haare aus der Stirn hielt, aber diese schien irgendwie lächerlich. So schwarz wie ihr Haar war stets ihr Kleid – ausgenommen der Kragen um den Hals: Der war weiß und so eng, dass Arthur sich fragte, wie sie damit atmen, geschweige denn, Plätzchen essen und Tee trinken konnte. Der Kragen wurde von einer rubinroten Brosche zusammengehalten, die ihr Gesicht allerdings nicht zum Leuchten brachte, sondern blässlich
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