Jenseits von Feuerland: Roman
über seinen Tod hinaus für ihn verantwortlich und hat ihn in seinem Testament bedacht. Er könnte hier in Hamburg ein geruhsames Leben führen. Du weigerst dich also nicht länger, Nora van Sweeten zu heiraten?«
Arthur ging nicht auf die letzte Frage ein.
»Balthasar kommt mit«, beharrte er. »Schon allein darum, weil er viel mehr Motive zum Zeichnen findet, solange er an meiner Seite lebt.«
Seit sie sich in das gemeinsame Schlafzimmer zurückgezogen hatten, hielt Nora ihren Blick gesenkt. Arthur sah in ihrer Gegenwart eigentlich immer verdrießlich drein, aber noch nie hatte er so ernst gewirkt wie jetzt. Ihre Mutter behauptete, er sei ein schöner Mann. Und Clarissa hatte wiederum gemeint, ihr Herzbube sei zunächst auch sehr zurückhaltend gewesen. Der Anfang einer Ehe sei nun mal immer schwer; es gehöre Zeit und Geduld dazu – vor allem, um sich an das zu gewöhnen, was in den Nächten geschah. Das wäre anfangs ohne Zweifel das Unerträglichste und später immer noch eine Last für jede Frau, doch wenn man es geschickt anstellte, wäre es immerhin ein probates Mittel, um den Gatten zu lenken.
Nun, Nora wollte Arthur nicht lenken, sondern es einfach hinter sich bringen, so wie sie alles nur möglichst schnell hinter sich hatte bringen wollen. Die Verlobungszeit mit den steifen Teerunden, die heutige Hochzeitszeremonie, bei der ihre Mutter als Einzige rührselig geweint hatte, das anschließende Festmahl, bei dem auf das junge, glückliche Paar launige Reden gehalten worden waren.
Sie hatte die ganze Zeit über das Gefühl gehabt, man würde von zwei Fremden sprechen. Unmöglich konnten sie beide gemeint sein! Arthur war alles andere als glücklich, sondern trank zu viel; sie selbst hockte wie schreckerstarrt neben ihm. Nicht nur Angst vor dem, was sie im Ehebett erwartete, hatte ihr Gesicht versteinern lassen. Vielmehr saß ihr immer noch der Schock in allen Knochen, wie schnell ihr Leben sich verändert hatte.
Sie hatte gedacht, dass sie viel zu alt sei, um noch zu heiraten – hatte das aber nie als tragisch empfunden wie Clarissa, sondern als großes Glück. Schließlich war sie nicht nur alt, sondern zudem überaus wohlhabend, und wenn sie auch nicht so viel Geld für Hüte und Mode brauchte wie ihre Schwester, so verdankte sie dem Vermögen ein Leben mit Büchern.
Ihre Mutter hatte immer geklagt, dass sie für eine Frau viel zu viel Verstand hätte, ihr Vater hingegen hatte ihr Talent gefördert und sie in die Höhere Mädchenschule geschickt – nicht nur die üblichen neun Jahre, sondern auch in die 10. Klasse, die Selecta. Er war stolz auf die Tochter, die in allen Fächern die Beste gewesen war – in Englisch, Französisch und Geographie, auch in Kalligraphie. Ihre größte Leidenschaft war jedoch die Naturwissenschaft. Nach der Schule hatte sie dem Vater oft in der Praxis geholfen, und einer der Patienten hatte einmal gesagt, dass in ihr ein ebenso guter Doktor steckte wie in ihm. Obwohl andere Frauen es bereits wagten, war es für sie undenkbar, Medizin zu studieren, aber sie stöberte liebend gerne in der Bibliothek, und der Vater hatte es ihr nie verboten. Und so also hatte sie sich ihr künftiges Leben vorgestellt: Sie würde ab und zu in seiner Praxis aushelfen, die Nachmittage lesend verbringen und hin und wieder Clarissas Geschwätz ertragen.
Nun aber lag sie in einem Ehebett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, und starrte auf ihren Gatten, der für sie ein Fremder war. Obwohl er angesichts der Unmengen, die er während der Hochzeitstafel in sich hineingeschüttet hatte, ziemlich betrunken sein musste, ging Arthur auf und ab, ohne zu wanken. Bis jetzt hatte er kein einziges Mal auch nur in ihre Richtung gesehen, geschweige denn, sie berührt.
Aber er würde sie berühren, hatte Clarissa ihr prophezeit – und sie müsse es zulassen, auch wenn sie sich zutiefst dafür schämen würde. In der Ehe sei schließlich alles erlaubt.
Nora versuchte sich abzulenken, indem sie das Zimmer musterte. Von den finanziellen Nöten, in welche die Familie Hoffmann geraten war, war hier noch nichts zu spüren: Kostbare Holzvertäfelungen bedeckten die eine Wand, auf der gegenüberliegenden gab es feine Seidentapeten. Im Fensterpfeiler war ein großer Spiegel eingelassen worden, in den beiden Ecken daneben standen zwei kleine Keramiköfen. Sämtliche Truhen, Schatullen, Stühle und Bettpfosten waren mit aufwendigen Schnitzereien versehen. Der Teppich war weich und rot wie die schweren
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