Jenseits von Feuerland: Roman
unruhig auf und ab zu gehen. Fieberhaft überlegte er, was er dem Onkel entgegensetzen konnte. Ehrlich gesagt, hatte er noch nie viel darüber nachgedacht, was er sich von seiner Zukunft erwartete. Doch dann fiel ihm ein Gespräch, nein, vielmehr ein Streit ein, den er einst mit Onkel Gustav ausgefochten hatte. Es war kurz vor seinem Studienbeginn gewesen, sein Vater hatte ihm damals ein Prälegat in Höhe von zehntausend Mark vermacht, und Arthur hatte genaue Vorstellungen darüber gehabt, wie er diese ausgeben wollte. Er hatte verkündet, eine lange Reise machen zu wollen, was ihm der Onkel strikt verboten hatte.
»Ich … ich wollte immer so gerne die Welt sehen!«, rief er nun. »Reisen machen, fremde Länder erforschen! Das wollte ich schon damals mit dem Geld meines Vaters tun, erinnerst du dich? Aber ihr habt alle auf mich eingeredet, dass ich erst mein Studium abschließen müsste, was ich auch erfolgreich getan habe. Steht mir nun nicht eine Belohnung dafür zu?«
Der Onkel deutete auf die Decke. Arthur begriff nicht, was er mit dieser Geste bezweckte, bis er erkannte, dass dort neben stuckierten Rosetten das Wappenschild der Hoffmanns abgebildet war. »Du lebst nicht für dich allein, Arthur. Du bist der Spross einer alten Familie.«
»Und diese Familie ist nun scheinbar mehr auf mich angewiesen als ich auf sie!«
Onkel Gustav runzelte die Stirn. »Bei unsereins hätten Pflicht und Anstand ausgereicht, um zu gehorchen. Warum muss man dich, Arthur, kaufen?«
Er antwortete nicht.
»Meinetwegen«, gab Gustav nörgelnd nach. »Ich schlage dir einen Kompromiss vor.«
Arthurs Hoffnung stieg. »Ich muss Nora nicht heiraten?«, fragte er erleichtert.
»Doch, doch«, erwiderte der Onkel. »Du wirst sie heiraten, aber danach … danach kannst du meinetwegen eine Reise antreten.«
»Welche Reise?«
Er hatte es ernst gemeint, als er verkündet hatte, dass er die Welt erforschen wollte, doch er hatte nur eine vage Vorstellung von dieser Welt. Er kannte Hamburg, er kannte Zürich, außerdem hatte er einige Ausflüge in die Alpen und an die Nord- und Ostsee unternommen. Ansonsten hatte er nicht viel gesehen.
»Du sprichst doch Spanisch?«, fragte sein Onkel.
Arthur blickte ihn verwirrt an, antwortete dann aber bereitwillig: »Zumindest verstehe ich es ganz gut. Vater hat seinerzeit Wert darauf gelegt, dass ich auf die Schule gehe, wo man Englisch und Spanisch statt Griechisch lernt.«
Nachdenklich nickte der Onkel.
»Aus gutem Grund«, setzte er an. »In Valparaíso hat der Genuese Antonio Puccio 1837 eine kleine Drogerie gegründet. Später hat er sie an die Herren Mongiardini verkauft, und schließlich wurde der Deutsche Georg Fabian Teilhaber. Mittlerweile hat sein Sohn Carl die Anteile geerbt. Fabian & Compania heißt das Unternehmen, und es gibt viele Hamburger Apotheken, die mittlerweile Geschäfte mit ihm machen – Daube und Kahler zum Beispiel, die eigens eine Firma gegründet haben, die Arznei- und Drogeriewaren importiert, und auch ein gewisser Heinrich Schmitzke, der in Valparaíso eine eigene Apotheke und ein großangelegtes Import- und Exportgeschäft von pharmazeutischer Ware gegründet hat. Ich kenne ihn noch von der Zeit, als er in Hamburg lebte.« Onkel Gustav seufzte und begann, nachdenklich auf und ab zu gehen, ehe er nach einer Weile fortfuhr: »Ich habe mich der Möglichkeit, Geschäfte in Übersee zu machen, stets verschlossen, aber Heinrich Schmitzke hat immer wieder darauf insistiert, dass wir expandieren sollten. Nun gut, jetzt, da wieder genügend Geld da ist, ist es vielleicht gar nicht das Schlechteste, den Geschäftskontakt mit Heinrich Schmitzke zu intensivieren.« Er machte wieder eine längere Pause. »Und zu diesem Zweck könntest du nach Valparaíso reisen«, fügte er endlich hinzu.
Stille legte sich über den Salon, nachdem er geendet hatte. Nur das Ticken einer Uhr war zu hören. Arthur war erstaunt – nicht nur, dass der Onkel ihm entgegenkam, sondern dass er sich bereits so ausführliche Gedanken über seine Zukunft gemacht hatte. Er war nicht sicher, was er davon halten sollte.
»Wo liegt überhaupt Valparaíso?«
Er hatte den Namen dieser Stadt noch nie gehört, wobei ihm, genau genommen, jeder Ort recht war, wenn er nur ohne Nora dorthin reisen konnte.
Onkel wirkte zufrieden. »In Chile«, sagte er mit dem Anflug eines nachsichtigen Lächelns.
»Aber Balthasar kommt mit«, bestand Arthur.
»Wenn er es denn will«, meinte Gustav. »Dein Vater fühlte sich
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