Jenseits von Feuerland: Roman
war.
Erst hatte er in der Armee als »Einjähriger« gedient, später folgte das Pharmaziestudium an der »hohen philosophischen Facultät« der Universität Zürich. Balthasar hatte ihn dorthin begleitet und darauf geachtet, dass sich Vergnügungen und Pflichten des Studentenlebens halbwegs die Waage hielten. Dennoch hatte es Jahre gedauert, bis Arthur mit Müh und Not all seine Prüfungen absolviert und obendrein seine Dissertation geschrieben hatte – über »die bacteriologisch-chemischen Ursachen beim Aufgehen des Brotteigs«. Zurück in Hamburg, hatte der Onkel ihn gedrängt, die Geschäfte zu übernehmen, aber nun, so hatte Arthur behauptet, müsse er sich von der Anstrengung des Studiums erst einmal erholen.
Niemand wagte, ihm eine Grenze aufzuzeigen. Arthur senior, der in den letzten Jahren nicht mehr am schwachen Herzen litt, sondern stattdessen von einem Magenleiden fast täglich ins Bett gezwungen wurde, war zu schwach, um ihn zur Rede stellen. An des Onkels Nörgeln hatte er sich gewöhnt. Und auch Balthasar schien die Nächte lieber in rauchigen Etablissements zu verbringen als die Tage hinter dem Apothekertisch. Er betrank sich zwar nie so hemmungslos wie Arthur, aber er fand dort viel mehr Motive zum Zeichnen vor.
»Sind wir bald da?«, stöhnte Arthur. »Ich könnte hundert Jahre schlafen.«
Balthasar drängte ihn von der Straße ab. Ehe sich’s Arthur versah, hatte ihm der Freund den Kopf unter den Strahl eines Springbrunnens getaucht. Arthur war so verdattert, dass er sich nicht wehrte. »Bist du verrückt geworden?«, prustete er.
»Das muss sein! Du erschreckst sonst alle zu Tode mit deiner Fahne! Denk an die Frauen, die dich lieben!«
Balthasar verdrehte die Augen. Er fragte Arthur oft danach, wie er es anstellte, aber der konnte sich selbst nicht recht erklären, warum ihm die Frauenherzen so leicht zuflogen. Er genoss es einfach, dass es so war. Frau Christa, die Haushälterin, behandelte ihn bis zum heutigen Tag wie ein Kleinkind, dem man die größte Freude bereitet, wenn man ihm Süßigkeiten zusteckt – und Arthur ging stets auf dieses Spiel ein. Für Tante Minna war es der Lichtblick des Tages, wenn er nachmittags mit ihr Tee trank. Seine vielen Cousinen begannen neckisch zu kichern, wenn sie ihn bereits nur sahen. Und dann gab es all diese zahlreichen Frauen Hamburgs, verheiratet oder nicht, bürgerlich oder adelig, reich oder arm, die ihm, von seinem blonden Lockenkopf und seinem aufreizenden Lächeln bezirzt, das Herz vor die Füße legten – und meist noch mehr.
»So!«, Balthasar stöhnte nach weiteren Schritten unter dem Gewicht. »Jetzt sind wir da.«
Arthur hob den Blick. Von seinen Haaren tropfte es nass; das Wasser verschleierte seinen Blick auf das Haus, in dem sich die Verkaufsräume der Apotheke befanden wie auch das Lager und die Wohnräume. Eine Seite lag direkt am Wasser, die andere zur Straße hin, so dass sowohl Boote als auch Sackkarren und Pferdewagen die Waren anliefern konnten.
»Nein, nicht!«, rief Arthur, als Balthasar den Haupteingang ansteuerte. In diesem Zustand wollte er lieber die große Diele meiden. Eine breite Treppe führte von dort nach oben, und die Säulen und Kapitellen waren mit aufwendigen Schnitzereien versehen, die diverse Köpfe und Gestalten aus der griechischen Mythologie darstellten. Wenn Arthur an ihnen vorbeiging, hatte er immer das Gefühl, von neugierigen Gaffern beglotzt zu werden.
Lieber nutzte er den Eingang direkt neben der Küche.
In dieser Küche stießen sie auf Frau Christa, die die Hände über ihren Kopf zusammenschlug, kaum dass sie Arthur erblickte.
»Herr Arthur, Herr Arthur!«, rief sie entsetzt.
Arthur grinste. Er wusste, dass er von Frau Christa keine Standpauke erwarten musste – höchstens ein paar Naschereien, die seinem unruhigen Magen allerdings den Rest geben würden. Ein Gläschen Likör würde er eher vertragen, wobei: Die Kopfschmerzen, die seinen Blick verdunkelten, drohten schon jetzt unerträglich zu werden.
»Herr Arthur, Herr Arthur …«
»Nicht jetzt, Frau Christa! Wenn Sie einen Rollmops für mich haben, den nehme ich gerne. Aber böse Worte ertrage ich nicht.«
Als ob Frau Christa jemals böse Worte zu ihm gesagt hätte!
»Den Rollmops behältst du nie bei dir«, warf Balthasar trocken ein.
Arthur setzte sich rasch auf den erstbesten Schemel, den er fand. Balthasar wirkte erleichtert, dass er ihn nicht mehr stützen musste.
»Herr Arthur!«, rief Frau Christa und schlug wieder
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