Jenseits von Feuerland: Roman
die Hände zusammen. Erst jetzt bemerkte Arthur, dass ihre Stimme zitterte und ihr Gesicht ungewohnt bleich war.
»Was …«, setzte er an.
»Sie müssen sofort zu Ihrem Onkel gehen. Er wartet schon seit Stunden auf Sie.« Frau Christa seufzte, ehe sie mit tief bekümmerter Miene hinzusetzte: »Es ist etwas sehr … Trauriges passiert.«
Onkel Gustav hatte im Kamin des Salons ein Feuer machen lassen, was zu dieser frühen Tageszeit mehr als ungewöhnlich war. Noch hatte sich die Wärme nicht im ganzen Raum ausgebreitet, aber Arthur brach dennoch der Schweiß aus. Onkel Gustav saß in einem Stuhl – wie immer so steif und ausdruckslos, dass man ihm seine Gefühle nicht ansehen konnte. Er trug einen Morgenmantel, was bedeutete, dass ihn die Nachricht, die er Arthur mitzuteilen hatte, im Schlaf überrascht hatte. Dennoch war er frisiert, sein Backenbart sorgfältig gestutzt, und sein Monokel klemmte wie stets vor dem rechten Auge.
Bei seinem gepflegten Anblick bekam Arthur ein schlechtes Gewissen, weil er ihm selbst so verlottert gegenübertrat: Er roch nach Schnaps, sein Gesicht war aufgedunsen, und von seinen Haaren tropfte es immer noch nass. Zwar hatte ihn Balthasars Maßnahme halbwegs nüchtern gemacht, doch für lange Schelten fühlte er sich zu müde, und eine solche erwartete er instinktiv. Ganz gleich, was Frau Christa von einer traurigen Nachricht geschwafelt hatte – dass des Onkels Miene so düster war, bezog er auf sein spätes Nachhausekommen und die Tatsache, dass er sich betrunken hatte.
»Onkel … können wir nicht einfach morgen …«
Er starrte ihn an. »Was meinst du mit morgen? Der neue Tag ist sechs Stunden alt.«
»Ich meine, wenn ich erst ausgeschlafen habe und …«
»Du hast keine Zeit mehr fürs Schlafen, Arthur. Und keine Zeit mehr fürs Saufen und für Frauen.«
Onkel Gustav trat mit steifem Rücken auf ihn zu, als hätte er einen Stock verschluckt. »Ich würde es dir gerne schonend beibringen«, fuhr er mit nunmehr gesenktem Blick und leicht belegter Stimme fort, »aber ich glaube ohnehin nicht, dass es dich besonders erschüttern wird. Dein Vater ist tot.«
Die Worte verklangen im dämmrigen Raum. Hilflos wartete Arthur darauf, dass Gustav Hoffmann ihn wieder ansehen und ihm ein Zeichen geben würde, was er von ihm erwartete: Dass er die Fassung wahrte, so wie er es selbst immer tat? Oder dass er – entgegen seiner Erwartung – heftigen Kummer zeigte?
Arthur fühlte nichts dergleichen. Der Vater war immer irgendwie da gewesen, aber er hatte sich aus seinem Leben zurückgezogen, nachdem Arthurs Mutter gestorben war, und die Erziehung des Sohnes seinem Bruder und dessen Frau Minna überlassen. Wenn überhaupt von ihm gesprochen worden war, dann wurde Arthur eingebleut, er müsse seinem Vater unendlich dankbar sein – schließlich habe jener die Apotheke aufgebaut, die dereinst ihm gehören würde. Doch der Einzige, dem Arthur dankbar war, war sein Onkel, denn dieser führte diese Apotheke schließlich und könnte es seinetwegen gerne weit über die eigene Volljährigkeit hinaus tun. Der Wohlstand, den er dem Familienunternehmen verdankte, war ihm angenehm, die zukünftige Pflicht hingegen schon jetzt eine Last. Nicht das Pharmaziestudium war ihm eine Qual gewesen, umso mehr aber die Borniertheit von Vater und Onkel. Andere seiner Zunft, so hatte er in Zürich gelernt, betrieben ein reges, praktisches Studium der Mikroorganismen, kamen zu Unmengen von neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und nutzten sie für das Geschäft. Arthur senior und Onkel Gustav taten nichts dergleichen. Wieder andere verdienten viel Geld, indem sie ihre Apotheken zu regelrechten Fabriken erweiterten, die ihre Produkte in Massen herstellten, doch Arthur senior und Onkel Gustav hatten immer nach dem Motto »klein, aber fein« gewirtschaftet.
Letztlich konnte Arthur damit gut leben. Im Zweifelsfall war es ihm lieber, dass Onkel Gustav die Apotheke gegen seine Vorstellungen führte, als dass er es allein tun und die ganze Verantwortung tragen müsste.
Onkel Gustav hob den Kopf und blickte ihn prüfend an. Zu viele Augenblicke waren verstrichen, um sich jetzt noch ehrlich bestürzt zu zeigen.
»Wann?«, fragte Arthur nur.
»Am Ende war es nicht einmal sein Herz, das ihn tötete, obwohl alle genau das erwartet haben, sondern sein Magenleiden. Offenbar hatte er plötzlich Blutungen bekommen. Gestern Abend wollte er dich unbedingt noch einmal sehen, aber du warst nirgendwo zu
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