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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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er, wie der Wind seine Haare zerzauste, die ohnehin meist wirr von seinem Kopf abstanden – da er hässlich war, empfand er es als Zeitverschwendung, Sorge auf seine Frisur zu verwenden –, und lächelte in sich hinein. Arthur wusste gar nicht, was ihm entging, wenn er da Stunde um Stunde in der Herberge hockte. Wobei – selbst wenn er hier im Abendlicht gestanden wäre, hätte er sich wahrscheinlich für die unaufdringliche Schönheit der Magellanstraße als blind erwiesen und sich stattdessen über den scharfen Wind beklagt. Manchmal beneidete Balthasar ihn um seine Leichtigkeit – wobei Arthur in diesen Tagen alles andere als diese Leichtigkeit versprühte. Und manchmal hätte er gerne von dieser unbeschwerten Hoffnung gekostet, dass man alles kriegt, was man will – wobei Arthur Emilia ja nicht gekriegt hatte. Aber insgeheim war er glücklich und dankbar für die Art und Weise, wie er selbst die Welt sehen konnte. Er konnte die Menschen beobachten und zeichnen, ohne bei Männern mögliche Rivalen zu fürchten oder Frauen danach zu mustern, ob sie verführbar waren. Und er konnte in diesen Anblick von Meer und Himmel versinken, ohne es als Zeitverschwendung anzusehen und ganz ohne den Drang, die Sinne bald mit Schnaps zu betäuben.
    Arthur bemitleidete ihn oft wegen seines kurzen Beins und der Brandwunden. Aber Balthasar dachte sich manchmal, dass seine Hässlichkeit nicht nur ein Fluch, sondern auch ein Geschenk war. Da es ein solches Missvergnügen war, sein eigenes Spiegelbild zu sehen, kam er gar nicht in Versuchung, sich darin zu verlieren und um sich selbst zu kreisen. Stattdessen konnte er die Welt betrachten und sich an der Weite des Horizonts erfreuen.
    Das Licht schwand, und mit einem wehmütigen Seufzer drehte sich Balthasar wieder der Stadt zu, um sich auf den Heimweg zu machen. Er bedauerte es, dass sie schon bald nach Valparaíso aufbrechen würden. Nach dem Debakel mit Emilia hatte Arthur darauf gedrängt, das nächste Schiff zu nehmen, und sich geärgert, dass nicht schon in der Stunde seiner Schmach eines für ihn bereitstand. Obwohl Balthasar nicht an Seekrankheit litt und das Reisen liebte, hätte er es gerne so lange wie möglich hinausgezögert, in Richtung Norden zu fahren. Wenn er die Wahl gehabt hätte, wäre er vielmehr liebend gerne noch weiter in den Süden vorgedrungen, hätte das Ende der Welt erforscht, hätte in der Einöde von Feuerland gelebt oder auf der Wachais-Insel beim Kap Hoorn, wo zwei Ozeane aufeinanderprallten, hätte das Kap Froward erkundet – den letzten Festlandfelsen des südamerikanischen Kontinents – oder das weites Ödland des Páramo. Auch San Julián hätte er gerne gesehen, eine Stadt wie Punta Arenas, nur noch armseliger. Auf dem Sandboden versanken oft die Häuser. Kaum Straßen gab es, keine Bäume, und beständig wehte kalter Wind.
    Nun gut – darauf, zu frieren, konnte er am ehesten verzichten. Auch jetzt beschleunigte er seine Schritte. Die Nächte im Frühsommer wurden zwar immer kürzer, waren aber extrem dunkel und kalt.
    Vielen, mit denen er über Patagonien und Feuerland gesprochen hatte, war nicht klar gewesen, woher seine Neugierde rührte und was ihn derart faszinierte, wenn sie von der Einsamkeit und Kargheit sprachen. Er konnte ihre Verwirrung gut verstehen, war er doch selbst mit einem Zitat von Charles Darwin im Ohr hierhergereist, der da sagte, dass ein Blick auf Feuerland genügen würde, um einen Menschen eine Woche lang von Schiffbrüchen, Gefahr und Tod träumen zu lassen. Und dennoch – er fühlte sich hier am Ende der Welt nicht abgeschnitten von allem Leben, sondern lebendig wie nie. Diese Grenzenlosigkeit, sobald man die Gässchen von Punta Arenas zurückließ, verhieß für ihn nicht Langeweile, sondern Abenteuer, nicht Gefahr, sondern Sicherheit, nicht Ende, sondern Aufbruch. Wie gerne wäre er geritten – oder auf einem kleinen Schiffchen durch die Magellanstraße gesegelt, so wie ihr einstiger Entdecker, Ferdinand de Magellan, der von hier aus flackernde Lichter auf Feuerland gesehen hatte und ihm deswegen diesen Namen gegeben hatte!
    Nun, von diesen flackernden Lichtern hatte er bis jetzt noch keines gesehen, und im Schatten der Häuser zerflossen alle Konturen in Grau oder Schwarz. Kaum mehr seine eigene Hand sah er, als er sie hochhielt, und er verlangsamte den Schritt, um nicht irgendwo auszurutschen und liegen zu bleiben. Wenigstens kannte er den Weg, wusste, dass es nicht weit bis zur Casa Emilia war, und

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