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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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war neben ihr auf den Boden gegangen, um sie vorsichtig auf den Rücken zu drehen. Ihr Gesicht war bleich, voller Kratzer, Schrammen und blauer Flecke, die Lippen blutig gebissen, die Kleider zerrissen. Die nackte Haut, die darunter hervorschien, war ebenso voller Wunden und blauer Flecke. Zwischen ihren Beinen tropfte frisches Blut auf schon schwarz verkrustetes. Es hatte ihre Schenkel verklebt, die weniger Menschenbeinen als einer rohen Fleischmasse glich.
    Emilia stand wie erstarrt.
    »Um Gottes willen!«, stieß sie aus und schlug sich die Hand vor den Mund.
    »Schnell!«, befahl Balthasar. »Wir brauchen einen Arzt! Vorhin hat sie noch etwas zu sagen versucht, aber nun hat sie das Bewusstsein verloren. Sie rührt sich nicht mehr!«
    Die Beine schienen unter Emilia nachzugeben. Sie wäre gefallen, hätte Arthur nicht geistesgegenwärtig zugepackt und sie gestützt. Hastig riss sie sich wieder von ihm los, lehnte sich kraftlos gegen einen der Tische. »Um Gottes willen!«, stieß sie wieder aus. Sie wollte noch etwas sagen, wollte Fragen stellen, konnte es jedoch nicht, konnte sich auch nicht von der Tischplatte lösen, um zu Rita zu treten.
    »Was ist denn bloß geschehen?«, schrie Arthur an ihrer statt.
    Voller Entsetzen starrte er auf Rita. Kurz vermeinte Emilia, in seinem Blick Ekel aufflackern zu sehen, aber schon im nächsten Augenblick wich er grimmiger Entschlossenheit. Er trat zu einem der anderen Tische und fegte sämtliches Geschirr davon. Krachend fiel es auf den Boden, Gläser zersplitterten, Blechnäpfe kullerten über die Holzdielen. Dann schlüpfte er aus seiner Jacke und breitete sie auf dem Tisch aus. Balthasar war aufgestanden, und auf Arthurs Zeichen hin hoben sie Rita auf den Tisch, sehr langsam, sehr behutsam. Arthur stützte ihren Kopf, damit er nicht nach hinten kippte. Emilia sah weiterhin erstarrt zu, wollte helfen, war jedoch nach wie vor nicht dazu in der Lage.
    »Also, was ist passiert?«, fragte Arthur.
    Balthasar zuckte hilflos die Schultern. »Ich weiß es nicht genau. Ich fand sie ein paar Straßen von hier entfernt. Sie lag auf dem Boden, und ich bin zufällig über sie gestolpert.«
    Wie gelähmt hatten sich Emilias Glieder eben noch gefühlt, nun endlich ging ein Ruck durch sie. Mit einem Aufschrei stürzte sie auf Rita zu, streichelte über ihre Haare, die verklebt und schmutzig waren, streichelte auch über das Gesicht – zumindest über die Stellen, wo ihre Haut noch heil geblieben war.
    Erinnerungen an jenen Frühlingstag am Llanquihue-See stiegen hoch, als sie Rita in ähnlichem Zustand gefunden hatte – ähnlich, aber nicht gleich. Auch damals hatte sie einen grauenhaften Anblick geboten, aber ihr Körper war nicht von so viel Blut bedeckt gewesen.
    Wenigstens atmete sie noch, wenn auch flach: Kaum wahrnehmbar hob und senkte sich ihre Brust. Schließlich begannen auch die Lider zu flackern, dann öffnete Rita die Augen. Schwarzen Löchern glichen sie, tief, aber leer. Es war der Blick einer Toten.
    »Rita … Rita, was ist mit dir?«
    Kein Verstehen leuchtete in dem Blick auf. Eine Weile kaute Rita nur auf den blutigen Lippen. »Esteban … Jerónimo … ich dachte, er liebt mich …«
    Emilia war sich nicht sicher, ob sie sämtliche Worte richtig verstanden hatte, doch daran, dass Rita Estebans Name ausgesprochen hatte, gab es keinen Zweifel.
    »Esteban Ayaraza?«, rief sie entsetzt. »Er hat dir das angetan?«
    Rita nickte schwach.
    Wieder tauchten Erinnerungen auf, diesmal von Pedros Schaluppe – wie Esteban Rita dort fast überwältigt hatte, wie sie sie in letzter Minute hatte retten können, wie Pedro Esteban vom Schiff geworfen hatte.
    »Ich bringe ihn um!«, schrie Emilia.
    »Wenn Sie ein wenig damit warten könnten«, sagte Balthasar leise. »Fürs Erste brauchen wir einen Arzt.«
    Wut schien das Einzige zu sein, was ihr Kraft gab – die Sorge hingegen machte sie kopflos. »Ja … einen Arzt …«, stammelte sie. Sie hatte keine Ahnung, wo sie einen finden sollte. Bis jetzt waren sie nie so krank gewesen, um einen konsultieren zu müssen. Sie trat von Rita zurück, lief einige Male ziellos durch die Stube und kam erst zum Stehen, als Arthur sie aufhielt, sie an den Schultern packte und sie zwang, ihn anzuschauen.
    »Emilia! Du musst dich beruhigen! Wenn du willst, dann hole ich einen Arzt.«
    Das Bild vor ihren Augen zerstob kurz in viele kleine Funken, dann klärte es sich. Sie nickte, fühlte kaum, wie er sie wieder losließ, sondern hörte nur,

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