Jenseits von Uedem
ich mache mir Sorgen um meine Frau. Sie hat gestern Blutungen gekriegt, und der Arzt meint, sie muß stramm liegen.«
»Die ganze Schwangerschaft?«
»Das kann durchaus passieren. Noch knapp vier Monate.«
»Und wer kümmert sich um die Kinder?«
»Im Moment meine Schwiegermutter, aber das ist auch nicht für ewig.«
Toppe seufzte ratlos, doch Astrid meinte: »Soll ich mal bei der Caritas anrufen? Sie kriegen bestimmt eine Familienhilfe.«
»Meinen Sie?« fragte Heinrichs müde.
»Bestimmt.«
»Es ist ja auch nur . « Heinrichs starrte die Wand an, »... wenn ihr bloß nichts passiert.«
Toppe verkniff sich eine nicht sehr nette Bemerkung, und Astrid brach schließlich das beklemmende Schweigen, indem sie von ihrer Cousine erzählte, der es genauso gegangen wäre, und alles halb so schlimm, das käme doch oft vor, gar nicht gefährlich, nur lästig.
Heinrichs fand sie sehr lieb und honorierte ihre Fürsorge mit einem Lächeln und der Bitte um eine Zigarette.
Widerstrebend hielt sie ihm ihre Packung hin.
Er zog den Rauch tief ein, grinste dann und meinte: »So, ihr beiden kommt mir aber nicht so billig davon! Ich darf dann um die Berichte bitten.«
Toppe lachte und setzte sich an seinen Schreibtisch. Als er das zweite Blatt einspannte, kam van Gemmern.
»Post vom Biologen«, sagte er dröge, faltete ein Papier auseinander und las vor: »Bei der eingesandten Probe handelt es sich um den Samen der Fucraea foetida, in Klammern, Mauritiushanf.«
»Hanf?« fragte Astrid. »Rauschgift?«
»Nein, nein«, winkte van Gemmern ab, »der Name ist irreführend. Es handelt sich um eine brasilianische Agavenart, die man in den Tropen zum Beispiel zur Herstellung von Seilen verwendet.«
»Und wächst so was auch hier bei uns?« wollte Heinrichs wissen.
»Wohl kaum, höchstens im Kübel, aber auch dann nur unter optimalen Bedingungen.«
Van Gemmern hielt diese Auskunft für erschöpfend.
»Und was sind optimale Bedingungen?« fragte Astrid spitz.
»Sehr heller Raum, gleichbleibende Temperatur, hohe Luftfeuchtigkeit.«
»Wie sieht die Pflanze denn aus?« fragte Toppe.
Van Gemmern reichte ihm das Papier und zuckte die Achseln. »Bis jetzt habe ich noch kein Foto gefunden, bin aber noch auf der Suche.«
Toppe und Astrid sahen sich an.
»Hast du in te Laaks Wohnung Topfblumen gesehen?«
»Nö«, antwortete Astrid. »Nur Trockenblumen und einen Asparagus im Flur.«
»Ich bin dann weg«, sagte van Gemmern und ging.
Toppe zog das Telefon heran, suchte in seinen Zetteln, fand die Nummer und wählte.
»Seniorenresidenz Haus Ley; Holbe?«
Er erklärte ihr, daß er morgen vormittag die Akte zurückbringen würde und bat sie, ihm bis dahin eine Liste aller Angestellten und aller Mitglieder des Stiftungsbeirates zusammenzustellen.«
»Ja, selbstverständlich«, antwortete sie.
»Hat Frau Heuvelmann morgen vormittag Dienst?«
»Augenblick, da muß ich auf den Dienstplan schauen . ja, sie ist morgen früh im Hause.«
»Prima. Eine Frage noch: haben Sie am letzten Samstag gearbeitet?«
Er konnte ihre Empörung durchs Telefon spüren. »Waren Sie im Heim?«
»Ich wünschte wirklich, Sie würden nicht immer Heim sagen! Ja, ich habe am Samstag von 9 bis 16 Uhr gearbeitet. Ich hatte im Büro zu tun. Außerdem mache ich samstags immer meine Runde über die Pflegestation. Reicht Ihnen das?«
»Um wieviel Uhr haben Sie Ihre Runde gemacht?«
»Um elf. Und nachmittags habe ich am therapeutischen Schwimmen teilgenommen.«
»Am therapeutischen Schwimmen. Sie?«
»Ja«, sagte sie ungeduldig. »Meine Tante lebt hier im Haus, und von Zeit zu Zeit begleite ich sie zur Therapie.«
»Wann war das?«
»So um zwei, drei Uhr, glaube ich. Herr Toppe, ich habe Besuch! Können wir uns nicht morgen darüber unterhalten?«
»Aber natürlich! Vielen Dank erst mal.«
Astrid hielt auf dem breiten Rasenstreifen der Koppers'schen Kate am Kerkpad. Sie hatte sich heute morgen telefonisch mit dem Rentnerpaar verabredet und war ein bißchen zu früh dran.
Müde war sie; die vielen Gespräche heute und zuwenig Schlaf letzte Nacht.
Müde und melancholisch. Sie dachte an die Auseinandersetzung mit ihren Eltern gestern morgen. Im allgemeinen mischten die beiden sich nicht in ihr Leben ein, und das Gespräch beim Frühstück hatte auch ganz unverfänglich begonnen: Was sie sich denn zu ihrem dreißigsten Geburtstag wünsche, und ob sie eine große Party geben wolle? Aber Astrid wußte nicht, wen sie hätte einladen sollen, eigentlich wollte
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