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Jenseits

Jenseits

Titel: Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Cabot
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nicht so falsch gewesen war: Er war wie ein wildes Tier, wie die Taube, die ich an jenem Tag gefunden hatte, und brauchte dringend Hilfe, auch wenn er selbst ganz anderer Meinung zu sein schien. Sogar auf die Gefahr hin, dass ich, wenn ich versuchte ihm zu helfen, ihm nur noch mehr wehtat. Aber versuchen musste ich es.
    Also sagte ich, was ich schon vor langer Zeit hätte sagen sollen: »Es tut mir leid.«
    Seine Augen wurden zu beinahe undurchdringlichen Schlitzen. »Was hast du da gerade gesagt?«
    »Es tut mir leid«, wiederholte ich, diesmal lauter. »Was ich dir angetan habe, als ich tot war. Die … Konsequenzen, die es für dich hatte.«
    Seine einzige Reaktion war, mich weiterhin anzustarren, als wäre ich diejenige, die an einer antisozialen Persönlichkeitsstörung litt. Aber, ich meine, wer gibt schon einem Mädchen eine Halskette – vor allem eine mit einem Diamanten, der ständig seine Farbe ändert wie der Himmel und manchmal grau ist wie ein Wintermorgen, ein anderes Mal wieder schwarz wie die Nacht – und schleudert sie dann auf einem Friedhof auf Nimmerwiedersehen von sich? Und das nur, weil das Mädchen vorsichtig versucht, sie ihm zurückzugeben? Weil es den starken Verdacht hat, dass er durch ihr Verschulden schreckliche Konsequenzen ertragen muss?
    Außerdem, warum war ich die Einzige, die sich hier entschuldigte? Gerne hätte ich auch das eine oder andere »tut mir leid« aus seinem Mund gehört. Schließlich war er während jener letzten Begegnung nicht gerade sanft mit mir umgesprungen. Er hatte es zwar zum Teil wiedergutgemacht, in dem Juwelierladen, meine ich, und danach auch in der Schule bei dem Zwischenfall mit Mr. Mueller, aber trotzdem … Ich hatte einfach zu viel verloren. Mein Leben hatte ich zurückbekommen, aber was war mit all den anderen Dingen, die einfach weg waren? Die Ehe meiner Eltern beispielsweise, und Hannah? Ich war noch nicht einmal einen Tag aus dem Krankenhaus zurück, da kündigte mir meine damals beste Freundin, Hannah Chang, auch schon die Freundschaft auf. Und das nur, weil ich ihr gesagt hatte, wie schade ich es fand, dass sie Mutprobe so vernachlässigte, und dass ich a) keine Lust mehr hatte, mit ihr auf der Promenade rumzuhängen in der Hoffnung, einer der Kumpels ihres älteren Bruders möge doch bitte, bitte zufällig vorbeikommen, und b) auch nicht mehr gewillt war, dieses alberne Halt-auf-dem-Friedhof-bloß-den-Atem-an-sonst-ergreifen-böse-Geister-von-deiner-Seele-Besitz-Spiel weiterzuführen, weil ich es einfach bescheuert fand. Mit fünfzehn waren wir ohnehin zu alt für diesen Quatsch.
    Nur den fröhlichen Kommentar: »Du brauchst dir gar keine Sorgen um das Böse zu machen, liebe Hannah, weil ich es sehen kann und dich ab jetzt davor beschützen werde«, hätte ich mir vielleicht sparen sollen. Kein Wunder, dass sie mich von da an für verrückt hielt. So wie bald darauf auch alle meine anderen Mitschülerinnen, inklusive Lehrkräfte.
    Ich kann ihnen wohl kaum einen Vorwurf machen, denn wer würde jemanden, der behauptet, er könne »das Böse« sehen – und andere Leute davor beschützen –, nicht für verrückt halten? Vor allem, wenn dieser Jemand kurz darauf in genau diesem Punkt so vollkommen versagte.
    Hannah hatte mich damals nur verrückt genannt, weil sie sich Sorgen um mich machte. Tatsächlich hatte sie wahrscheinlich geglaubt, ich wäre nach meinem Krankenhausaufenthalt wohl noch ein wenig … nun ja, geistig verwirrt. Später sagte sie, es würde ihr leidtun, und ich sah, dass sie es ehrlich meinte. Manchmal, sagte sie, entwickelten sich Freundinnen nun einmal voneinander weg, so wie sie sich von Mutprobe wegentwickelt hatte, weil sie einfach keine Zeit mehr für Pferde hatte. Andere Dinge seien jetzt wichtiger. Basketball zum Beispiel und Jungs.
    Für mich sei das schon in Ordnung, hatte ich erwidert. Denn damals steckte ich schon viel zu tief in meinem gläsernen Sarg, um mich noch um solche Dinge zu kümmern: um Hannah, um mein Versprechen, sie vor dem Bösen zu beschützen; es interessierte mich nicht einmal mehr, dass alle anderen mich für verrückt hielten. Erst ein Jahr später merkte ich, was ich da eigentlich angerichtet hatte. Aber da war es für Hannah bereits zu spät.
    All das konnte ich John natürlich nicht vorwerfen. Nur Prinzessinnen in alten Märchengeschichten konnten es sich leisten, auf einen goldenen Prinzen zu warten, damit er sie errettete. Im wahren Leben mussten Prinzessinnen sich selbst aus ihrem Sarg

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