Jenseits
verantwortlich gewesen, wie zumindest die Ärzte behaupteten. Und nicht irgendetwas, das ich angeblich in Johns Welt vollbracht hatte. Denn seine Welt war nicht real, wie sie sagten.
Außer, und das wusste ich besser als jeder andere, dass sie durchaus real war.
»Wie bist du überhaupt hier reingekommen? Der Zaun ist über drei Meter hoch, mit Stacheldraht oben drauf«, zischte er.
Ich wollte nichts sagen, das ihn noch wütender machen würde, wie zum Beispiel, dass es gar nicht so schwer gewesen war, über den Zaun zu klettern, nachdem ich erst auf die Idee gekommen war, eine der riesigen grünen Mülltonnen, die praktisch überall auf Isla Huesos herumstanden, als Steighilfe zu benutzen. Außerdem war es nicht meine Schuld, dass die Familie der Dolores Sanchez, geliebtes Eheweib des Rodrigo, sich für ihr Mausoleum ein Plätzchen direkt neben dem Friedhofszaun ausgesucht hatte. Ein hervorragender Landeplatz.
Sollte ich wirklich riskieren, ihn möglicherweise weiter zu provozieren, indem ich versuchte, ihm zu erklären, dass die Polizei – selbst wenn die Beamten irgendwann begriffen, was auf den Aufnahmen zu sehen war – ihn niemals aufspüren und verhören würde? Schließlich hatten sie keine Ahnung, wie sie ihn finden sollten, und ich fragte mich, ob es außer mir überhaupt jemanden gab, der das konnte.
Ich hatte allerdings auch noch ein paar Fragen an ihn. Wie hatte er es zum Beispiel geschafft, bei dem Zwischenfall mit Mr. Mueller genau im richtigen Moment aufzutauchen? War es wirklich die Halskette gewesen, wie er zuvor behauptet hatte, als er mit ihr vor meinem Gesicht herumgewedelt hatte? Hatte sie ihn auch zu dem Juwelierladen gerufen? Und warum hatte er mir überhaupt geholfen, wenn er mich noch immer so sehr hasste für das, was ich ihm angetan hatte?
Aber es schien mir nicht der geeignete Zeitpunkt, um irgendeine dieser Fragen anzusprechen.
»Nichts von alldem ist meine Schuld, verstehst du das nicht?«, sagte ich schließlich, während er mich so schnell weiterschleifte, dass ich Angst hatte, ich würde jeden Moment meine Flip-Flops verlieren. Was allerdings auch nicht die schlimmste meiner Befürchtungen war.
»Ach, tatsächlich?«, erwiderte er, drehte den Kopf in meine Richtung und durchbohrte mich förmlich mit seinem Blick. »Wie das?«
»Alles, was ich getan habe, war zu sterben«, sagte ich. »Und als ich die Gelegenheit hatte, nicht länger tot zu sein, habe ich sie ergriffen. Das war nichts Persönliches. Es hatte nichts mit dir zu tun.«
John schaute wieder nach vorn und erdolchte die Dunkelheit. »Natürlich nicht«, knurrte er.
»Was soll das denn bedeuten?«, wollte ich wissen und spürte gleichzeitig den Schmerz, den sein kaltschnäuziger Ton mir verursachte. »Ich sagte doch, ich hatte Angst. Ich wollte dir nicht wehtun. Deshalb bin ich ja heute Nacht hierhergekommen. Um mich zu entschuldigen. Ich möchte, dass wir Freunde sind. Ich möchte dir helfen. Ich hab dir die Halskette zurückgegeben. Was soll ich denn sonst noch tun?«
»Ich sage dir, was du tun kannst«, bellte er und blieb abrupt stehen. Diesmal streckte er beide Arme aus und legte sie mir auf die Schultern, aber wieder nicht, um mich zu küssen, sondern nur, um mich vor sich hinzustellen und mich ein weiteres Mal mit seinen Blicken aufzuspießen. »Du kannst mich ein für alle Mal in Ruhe lassen.«
Wieder stiegen mir Tränen in die Augen. Das war es, was er von mir wollte? Dass ich mich von ihm fernhielt?
Die Begegnung hatte sich zu einer weitaus größeren Katastrophe entwickelt als die an meinem Todestag. Und dabei lebte ich diesmal sogar noch.
»Das würde ich ja gern«, sagte ich, und alles, was ich außer seiner tiefen, bedrohlichen Stimme hören konnte, war das Trommeln meines Herzschlags. DummesDing, dummesDing, dummesDing, schien mein Herz zu sagen. »Aber jedes Mal, wenn ich es versuche, tauchst du plötzlich auf und führst dich auf wie … wie ein …«
»Wie was?«, fragte er und forderte mich geradezu heraus, es auszusprechen.
Nein , flüsterte die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf. Sag’s nicht .
»Idiot.«
Ich wusste, dass es weder besonders einfühlsam noch in irgendeiner Weise geschickt war, das Wort laut auszusprechen. Noch dazu, da ich eigentlich vorgehabt hatte, das Richtige zu tun. Schließlich mussten wir beide irgendwie auf dieser kleinen Insel leben, und John hatte mir das Leben gerettet, zumindest bei dem Zwischenfall mit Mr. Mueller.
Nun, vielleicht nicht gleich mein
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