Jerry Cotton - 0503 - Rascher Tod durch Jimmy Brown
jedenfalls nichts zu sehen. Keine Leiche und kein Blut. Allerdings war es dunkel.
Ich nahm Billy beiseite.
»Wo ist es passiert?«
»Hier!« Er zeigte mir die Stelle, die ganz in unserer Nähe lag. Ich nahm die Planken näher in Augenschein. Sie waren feucht, aber das konnte vom Nebel sein, der sich am Abend niederließ.
Evello kam von unten herauf. Er sah aus, als ob ihn der Matrose aus dem Schlaf geholt hätte. Seine Haare waren zerwühlt, nur seine Augen widersprachen diesem Eindruck. Sie sahen wach aus, hellwach.
»Sie sind der Steuermann Evello?«
»Und Sie ’n Polyp, was?«
Hywood kochte bereits. Wenn er eines nicht vertragen konnte, so war es der Ausdruck Polyp.
»Ich bin Captain Hywood vom Morddezernat Manhattan. Nehmen Sie sich zusammen, Mensch. Sie reden hier nicht mit Ihresgleichen.«
»Das merke ich«, gab der Steuermann ungerührt zurück. Und es blieb offen, ob Hywood das als Kompliment oder als das Gegenteil auffassen sollte.
»Bei Ihnen an Bord ist ein Mord passiert. Was wissen Sie darüber, wo ist die Leiche?«
Evello drehte sich um und grinste den Matrosen an. »Haben wir hier irgendwo eine Leiche herumliegen? Der Captain braucht eine!«
»Ay, ay, Steuermann«, meldete der Matrose stramm. Für meine Begriffe zu stramm. »Sie liegt unten.«
Evello wandte sich wieder an Hywood. »Haben Sie gehört, Captain? Sie liegt unten.«
»Soll ich sie heraufholen?« fragte der Matrose.
»Soll er sie heraufholen?« fragte auch Evello und blinzelte Hywood zu.
»Nein«, befahl Hywood. »Nichts darf berührt werden. Kommen Sie«, wandte er sich an seine Leute, »wir wollen uns den Tatort ansehen.«
Ich merkte, daß der Steuermann und der Matrose mit Hywood Katz und Maus spielten. Die Bestätigung folgte:
»Die Leiche ist nicht mehr am Tatort«, feixte der Matrose. »Wenn wir natürlich gewußt hätten, Herr Kriminal, daß Sie sich für den Otto interessierten, hätten wir ihn nicht gleich auf gehängt.«
»Aufgehängt?« fragte Hywood. »Ich denke, er wurde mit dem Messer umgebracht!«
»Erst mit dem Messer und dann aufgehängt. Er blutet dann besser aus, der Otto.«
Ich machte dem makabren Spiel ein Ende.
»Wer ist Otto?« fragte ich Evello.
»Na, unser Bordschwein, natürlich. Pete hat ihn heute morgen abgestochen.«
So ungefähr hatte ich mir die Sache gedacht. Kann man es mir übelnehmen, daß ich grinsen mußte? Ich bin schließlich auch nur ein Mensch.
Captain Hywood erstickte fast vor Wut. »Sie haben also keine menschliche Leiche an Bord?«
»Nicht daß ich wüßte. Aber Sie können ja einmal nachsehen!«
Diese Bereitwilligkeit des Steuermannes machte mich stutzig. Während sich Hywood mit den anderen an die Durchsuchung machte, ging ich mit Billy beiseite.
»Also wo passierte es genau?« fragte ich leise.
»Hier an der Reling. Ich habe alles genau beobachtet. Der Posten hörte ein Geräusch, beugte sich vor, und in diesem Augenblick erwischte es ihn. Er muß sofort tot gewesen sein.«
»Fiel er ins Wasser?«
»Nein, — er blieb auf den Planken liegen.«
Ich holte meine Taschenlampe hervor und leuchtete den Boden ab. Der Matrose, der an Deck zurückgeblieben war, beobachtete mich argwöhnisch.
Ich ließ mich nicht stören. Und an einer Stelle glaubte ich auch, einige Blutspuren zu finden. Eine Laboruntersuchung würde es genau feststellen.
Bald darauf polterte Hywood an Deck. Sein Zorn entlud sich auf mein unschuldiges Haupt.
»Wir können abrücken«, brüllte er seine Leute an. Und mit einem Seitenblick auf mich: »Vermutungen ergeben noch keinen Verdacht, und ein Verdacht ist kein Beweis.«
»Kann ich mal Ihre Mannschaftsliste sehen«, sagte ich zu Evello, der grinsend hinter den anderen auftauchte.
»Weiß nicht, wo sie ist«, brummte er unwillig. »Die hat der Kapitän in seiner Kajüte.«
»Dann holen Sie die Liste aus der Kajüte«, befahl ich eisig.
Hywood blieb stehen. Er sagte kein Wort, schien es aber für angebracht zu halten, auf das Ergebnis zu warten.
Wir mußten uns einige Zeit gedulden, aber endlich brachte er sie.
Ich brauchte nur einen Blick hinein zu werfen, dann glaubte ich bereits den wunden Punkt entdeckt zu haben. Ein Matrose namens Pete Sniders hatte abgemustert, ausgerechnet heute. Aus der beigefügten Lohnliste ging nämlich hervor, daß die Heuer erst drei Tage nach dem Einlaufen im Heimathafen New York ausgezahlt würde. Und die Quittung mit der Unterschrift des Matrosen fehlte. Daran hatten sie in der Eile wahrscheinlich nicht
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