Jerry Cotton - 0506 - Der Toeter und die grosse Angst
Wenn ich beginnen wollte, eine Liste der Verdächtigen aufzustellen, würde ich vermutlich durchdrehen. Da lasse ich schon lieber die Finger davon.«
»Hat das Rauschgiftderzernat Sie um die Aufstellung einer solchen Liste gebeten?«
»Ja, aber ich konnte den Herren klarmachen, daß das sinnlos wäre. Ich könnte einfach keine vollständige Namensliste aufstellen. Nicht jeder Feind gibt sich als Feind zu erkennen. Das ist die Schwierigkeit.«
»Ich glaube, wir können Ihre persönlichen Feinde vergessen«, meinte Phil. »Wir sollten uns auf die Leute konzentrieren, denen bekannt war, daß Sie das Heroin von Vivian Hurst erhielten.«
»Das sind nicht sehr viele«, sagte Slicker nach kurzer Pause. »Es ist nicht üblich, den Namen seines Rauschgiftlieferanten preiszugeben. Man würde sich damit erheblichen Gefahren aussetzen.«
»Klar«, sagte Phil. »Also: Wer wußte, daß Sie das Heroin von Vivian Hurst bekamen?«
»Nur ein paar Mädchen«, antwortete Art Slicker. Seine Lippen zuckten nervös. »Mich muß.der Teufel geritten haben«, fuhr er fort. »Ich hatte immer den Wunsch, mich nicht allein aufzutanken. Ich brauchte dazu Gesellschaft, eine verwandte Seele, wenn Sie so wollen. Hin und wieder versuchte ich, eine Mädchenbekanntschaft zu einer Injektion zu bewegen. Ein paar machten mit, aber die meisten gaben mir einen Korb.«
»Was hat das damit zu tun, daß Sie den Mädchen den Lieferanten Preisgaben?« wollte Phil wissen.
Slicker zuckte die Schultern. »Sie müssen das verstehen. Ich bilde mir ein, den Girls mit dem Hinweis imponieren zu können, daß eine so schöne und attraktive Frau wie Vivian Hurst ebenfalls süchtig sei und sogar mit Rauschgift handle.«
»Sie müssen uns die Namen der Mädchen nennen!« entschied Phil.
»Das können Sie nicht von mir verlangen!« rief Slicker erschreckt. »Ich kann doch nicht wie ein Lump handeln und die jungen Damen kompromittieren!«
»Hören Sie, Mr. Slicker, hier geht es um mehr als um den Ruf Ihrer Ex-Freundinnen. Wir haben den begründeten Verdacht, daß Sie und Vivian Hurst nur der Köder für eine brutale, gemeine Mordserie waren. Es kommt darauf an, diese Serie schnellstens zu stoppen. Das können wir nur, wenn wir den Mann entdecken, der die anonyme Anzeige erstattet hat. Es ist anzunehmen, daß er seine Information von einem Ihrer Girls bezogen hat.«
»Gerechter Himmel«, sagte Slicker unsicher. Seine Hände irrten nervös über die Bettdecke. »Es waren keine langen, tiefen oder gar bindenden Freundschaften«, erläuterte er. »Einige dieser Girls habe ich in Nachtlokalen aufgegabelt. Von denen kenne ich bloß die Vornamen. Ich fürchte, es würde eine ziemlich lange Liste werden…« Phil zog sein Notizbuch aus der Tasche, zückte den Kugelschreiber und sagte: »Fangen wir an!«-Art Slicker nannte uns etwa ein Dutzend Mädchennamen. Davon waren nur fünf komplett. Weder Phil noch ich stießen dabei auf einen bekannten Namen.
»Sind das wirklich alle?« fragte Phil. »Ja, nach bestem Wissen und Gewissen«, versicherte der Juwelier. »Das schließt nicht aus, daß ich den einen oder anderen Namen vergessen habe. Wenn mir noch einer einfallen sollte, rufe ich Sie an.«
»Wie ist es mit Dinah Raggers?« fragte ich aufs Geratewohl.
Art Slicker schaute mich an. »Die habe ich doch schon genannt… oder?« Phil und ich wechselten einen Blick. Wir wußten plötzlich, daß wir so gut wie gewonnen hatten.
***
Das Haus in der Hamilton Avenue, Brooklyn, war ein hoher schmaler Kasten, der seit seiner Erbauung in den dreißiger Jahren mit keiner Farbe mehr in Berührung gekommen war. Der Lift war außer Betrieb. Wir stiegen in die vierte Etage hinauf und stellten fest, daß die Tür zu Lanny Stratwycks Wohnung nur angelehnt war. Ich klingelte. Die Wohnung lag still und dunkel. Niemand kam zur Tür. Ich klingelte zum zweitenmal. Ohne Erfolg. Phil schaute mich an. »Wir sollten Mr. Stratwyck darauf hinweisen, daß seine Tür offensteht.« Ich schob die Tür mit dem Fuß zurück. Wir traten ein. Phil knipste das Licht an und rief: »Hallo?«
Stille. Die Tür zum Wohnzimmer war weit geöffnet. Wir traten über die Schwelle und machten Licht. Im nächsten Moment sahen wir das Mädchen.
Es lag vor der Couch, mit dem Gesicht zum Teppich. Die Haare fielen ihr wie ein weicher Vorhang über das Profil, sd daß man ihre Züge nicht erkennen konnte. Die seltsam verkrampfte Körperhaltung verriet, daß das Mädchen nicht mehr lebte. In den Steinen der hübschen
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