Jerry Cotton - 0506 - Der Toeter und die grosse Angst
schwieg. Er mußte das Gesagte erst einmal verdauen. Natürlich, Pinky und sein Begleiter hatten Dinah unter Druck gesetzt. Sie war nur ein Mädchen. Sie hatte einfach nicht die Kraft gehabt, mit den Methoden dieser Burschen fertig zu werden.
Wieder machte er sich die bittersten Vorwürfe. Wäre er doch gleich nach Hause gefahren. Statt dessen hatte er Dinah den Attacken dieser Gangster ausgesetzt.
»Gesungen?« murmelte er. »Sie weiß nichts.«
»Sie hat uns gesagt, daß du die Polizei angerufen hast, Lanny-Boy. Von ihr hörten wir, daß Vivian Hursts Verhaftung auf ihr und dein Konto geht«, sagte Pinky. »Und das hat Rod nun mal nicht so gern.«
Lanny wischte sich mit dem feuchten Jackenärmel den Schweiß von der Stirn. »Sie hat gesponnen!« erklärte er. »Wir hatten Krach. So was kommt überall mal vor, das brauche ich dir nicht zu erklären. Deshalb saß ich doch in der Kneipe! Deshalb ließ ich mich volllaufen! Ich wollte meinen Zorn ertränken. Sie hat euch einen Bären aufgebunden, weil sie mir einen Strick drehen will. Das darfst du nicht ernst nehmen, Pinky!«
»Du langweilst uns, Lanny-Boy«, sagte Berger.
Lanny lehnte sich erschöpft zurück. Es hatte wirklich keinen Sinn, diesen harten Burschen etwas vorzumachen. Sie wußten zwischen Bluff und Wahrheit sehr wohl zu unterscheiden. »Wo bringt ihr mich hin?« fragte er matt.
»Kannst du dir das nicht denken?« fragte Pinky höhnisch.
***
Die Zeit verstrich.
Ich hatte inzwischen das Morddezernat angerufen und Meldung erstattet. Der Lieutenant vom Dienst hatte uns für das Unternehmen grünes Licht gegeben.
Allerdings war eine zeitliche Begrenzung vereinbart worden. Die Mordkommission würde nach Ablauf einer Stunde in Stratwycks Wohnung auf kreuzen, ich war damit einverstanden. Es war nicht anzunehmen, daß der Mörder nach so langer Pause nochmals zurückkommen würde.
Das Zeitlimit schrumpfte zusammen. Noch zwanzig, fünzehn, noch zehn Minuten.
Einmal hörten wir Schritte im Haus, aber sie stoppten eine Etage tiefer und endeten mit dem Klappen einer Wohnungstür. Unsere anfängliche Spannung Hatte nachgelassen. Wir glaubten nicht mehr an das Auftauchen des Mörders.
Dann, als wir schon mit dem Eintreffen der Mordkommission rechneten, hörten wir plötzlich ein Türknarren. Im nächsten Moment schnappte sie leise ins Schloß.
Phil und ich erhoben uns lautlos von unseren Stühlen. Ich stand neben der geöffneten Wohnzimmertür, Phil dahinter. Wenn der Unbekannte im Flur das Licht anknipste, konnte er uns nicht sehen.
Mir schien es so, als hörte ich sein lautes Atmen. Er schien die Treppe sehr rasch heraufgekommen zu sein. Weder Phil noch ich wußten, warum er zögerte und darauf verzichtete, das Licht anzuknipsen.
Witterte er die Falle, in die er bereits einen Fuß gesetzt hatte? Einige bange Sekunden verstrichen. Dann knipste der Unbekannte das Flurlicht an. Ich trat einen halben Schritt zurück, so daß ich zusammen mit Phil von der Tür gedeckt wurde. Der dicke Bodenteppich verschluckte glücklicherweise meine rasche Bewegung.
Ich sah, wie der Schatten des Unbekannten schräg auf den von der Diele ins Zimmer fallenden Lichtkeil projeziert wurde. Er dehnte sich, wuchs und wurde riesengroß. Der Mann streckte die Hand aus. Im nächsten Moment flammte das Licht auf.
Der Mann betrat das Zimmer. Phil und ich hielten den Atem an. Wir hörten das Rücken eines Stuhles und das Knacken eines Bodenbrettes. Ich riskierte es, den Kopf hinter der Tür hervorzustrecken.
Ich sah den Mann nur von hinten. Es war ein mittelgroßer, breitschultriger Bursche, ein richtiger Muskelprotz. Er bückte sich und griff nach dem schlaffen, leblosen Handgelenk des Mädchens. Ich sah, daß der Mann Handschuhe trug. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß das Mädchen tot war, geschah etwas Seltsames.
Er zog eine mit einem Taschentuch umwickelte Pistole aus der Tasche. Behutsam wickelte er die Waffe aus. Er hielt sie nur mit zwei Fingern fest.
Ich beobachtete ihn jetzt ganz ungeniert, denn er nahm sich nicht die Mühe, über die Schultern zu blicken. Seine Aufgabe hielt ihn völlig gefangen.
Er spannte die Pistole und trat einen halben Schritt zurück. Er zielte sehr sorgfältig. Es stand außer Zweifel, daß er auf die Tote zu schießen beabsichtigte.
Ich hatte keine Zeit, eine Antwort auf die Frage zu suchen, was einen Mann veranlassen mochte, seine Pistolenkugeln auf eine Tote abzufeuern. Es war höchste Zeit, dieses schändliche Treiben zu stoppen.
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