Jerry Cotton - 0512 - 40 Cent fuer Garrys Leiche
mitgezerrte Frau über die Klippen ins Meer stoßen wollten. Ich kenne die Felsen hier, und wer da von der Spitze aus hinabgestoßen wird, hat keine Chancen, am Leben zu bleiben. Unmittelbar unter der Wasseroberfläche ragen scharfkantige Felsen in die Brandung.«
»Machen Sie es nicht so spannend, Helsmoor. Was ist passiert?«
»Der Führer der Pfadfinder entschied, daß man die Männer um jeden Preis daran hindern müsse, die Spitze der Klippen überhaupt zu erreichen. Natürlich hat der Junge recht. Wenn die beiden Kerle oben angekommen wären und wirklich die Absicht gehabt hätten, die Frau hinabzustoßen, hätte sie da oben kaum jemand daran hindern können. Also haben die Jungen sich bemerkbar gemacht, als die Männer den halben Weg zur Klippe geschafft hatten.«
»Schlaue kleine Teufel, die Jungs. Und was geschah?«
»Einer blieb bei der Frau, der andere kletterte weiter. Er glaubte wohl zunächst, der Führer der Pfadfinder, der sich gezeigt hatte, sei allein. Als er weiterkletterte, empfingen ihn die sich versteckt haltenden Jungen mit einem Steinhagel. Der Mann mußte aufgeben. Er muß, wie bei allen Kopfverletzungen, stark geblutet haben. Mein Hund hat eine Blutspur gefunden.«
»Und was ist mit dem Mann?«
»Der kehrte um, als der Steinhagel lebensgefährlich für ihn wurde. Er beriet sich kurz mit seinem Komplicen, dann kletterten sie zusammen wieder hinab zu dem Wagen, wobei sie die Krau mit Gewalt hinter sich herzogen.«
»Wie verhielt sich die Frau?«
»Sie wehrte sich noch immer, wurde zweimal geschlagen und von den Kerlen dann doch zum Wagen geschleppt.«
»Ist das Kennzeichen bekannt?«
»Ja. New Yorker Zulassung. LY 34-78.«
»Okay. Und weiter? Ich denke, einer der Jungen hatte inzwischen den Zündschlüssel stibitzt?«
»Er sollte es. Aber irgendwas muß ihn daran gehindert haben. Die Männer kamen unten am Wagen an, zusammen mit der Frau, und der Junge war noch drin!«
»Verflucht!« rutschte es dem Mann in der Funkleitstelle heraus, dann folgte ein Augenblick gespannten Schweigens und schließlich die drängende Frage: »Und? Was -haben die Halunken mit dem Jungen gemacht?«
»Sie sind in voller Fahrt davongebraust und haben jetzt nicht nur die Frau, sondern auch den Jungen im Wagen!«
***
Lieutenant Easton ließ seine Mordkommission abrücken, befahl aber zwei Männern, zurückzubleiben und die Straße im Auge zu behalten, falls der schwedische Seemann Ralph Ericson auftauchen sollte. Danach ging er mit seinem Stellvertreter Ed Schulz zu der Limousine, die sie beide benutzten. Phil und ich warteten dort bereits.
»Wo wohnt dieses Mädchen, Ed?« fragte ich, denn wir hatten beschlossen mitzufahren.
»In der Platt Street.«
»Platt Street?« wiederholte ich und sah Phil fragend an. »Nie gehört. Ist das in Manhattan?«-- »Sogar ganz in der Nähe«, sagte Schulz. »Die vierte Parallelstraße nördlich der Wallstreet, zwischen William und Pearl Street. Eine sehr kurze Straße für New Yorker Verhältnisse, sie führt nur an zwei Blocks vorbei. Ich mußte auch auf dem Stadtplan nachsehen, um sie zu finden.«
»Okay«, sagte ich. »Wenn Sie sich schon orientiert haben, fahren wir einfach hinter Ihnen her.«
»Das wird Ihnen der Jaguar aber übelnehmen, wenn er hinter uns herkriechen muß«, meinte der hünenhafte Sergeant grinsend.
»Witzbold«, erwiderte ich. »Als ob wir hier in der Stadt etwas andres fahren könnten als das übliche Schneckentempo.«
Wir machten uns also gemeinsam auf den Weg. Im Süden Manhattans, also im ältesten New Yorker Stadtviertel, verlaufen die Straßen nicht so schön schachbrettartig wie weiter droben im Norden, und Schulz fuhr denn auch für unsere Begriffe kreuz und quer in der Gegend herum, bis er die Dienstlimousine endlich vor einem sieben- oder achtstöckigen Bau anhielt.
»Da drin müßte es sein«, sagte er, als wir bei ihm ankamen.
Wir betraten das Gebäude, suchten ein Bewohnerverzeichnis und konnten keines finden. In den unteren Etagen gab es nur Büros, und auf die erste Wohnung stießen wir im vierten Stockwerk. Wir klingelten ergebnislos bei zwei Türen und stiegen schließlich eine Treppe höher.
Bei einem erneuten Versuch öffnete uns ein alter Mann von annähernd siebzig Jahren, der eine ausgebeulte graue Hose zu einem schreiend roten Hemd trug, wozu wieder die knallgelben Hosenträger hervorragend paßten.
»Hallo«, sagte Ed Schulz und grinste sein freundlichstes Lächeln, was bei ihm immer zu einer frappierenden
Weitere Kostenlose Bücher