Jerry Cotton - 0521 - Ich bluffte John den Racheboss
dreiundzwanzig Jahren sah uns fragend an. Er war knapp sechs Fuß hoch, gut genährt und trug einen Pullover mit dem Emblem des College. Sein blondes, sehr kurz geschnittenes Haar leuchtete im Widerschein der Deckenlampe.
»Stephen Cullow?« fragte ich.
Er zögerte, sah uns beide eine. Sekunde mißtrauisch an und wollte mir dann die Tür vor der Nase zuschlagen. Es ging nicht, denn ich hatte längst meinen Fuß dazwischen. Er sprang zurück, drehte sich um und wollte zum Fenster.
Zwei Schritte davor hatte ich ihn eingeholt. Mangels eines besseren Halts ergriff ich seinen Hosengürtel und riß ihn zurück. Phil lief an uns vorbei und stellte sich vor das Fenster. Cullow warf sich herum. Noch im Drehen holte er aus.
Ich duckte mich unter seinem Arm weg und setzte eine gerade Rechte vor. Sie traf ihn hart. Er krümmte sich. Seine Atemluft kam pfeifend über seine Lippen.
»Machen Sie keinen Unsinn, Cullow«, sagte ich. »Wir sind G-men, und wenn Sie’s unbedingt probieren wollen, ist eine Tracht Prügel der einzige Erfolg, den Sie einheimsen werden.«
Er richtete sich stöhnend auf. Phil zog den Haft- und Durchsuchungsbefehl aus der Brieftasche, den wir nach Rissotkins’ Aussage postwendend erhalten hatten. Mein Freund sagte das Nötige. Cullow ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Ich hab’s gewußt«, krächzte er. »Ich hab’s gewußt, daß es nicht gutgehen konnte. Aber diese Idioten' wollten ja nicht auf mich fyören.«
»Welche Idioten?« fragte ich.
»Rissotkins und Qualler. Das sind…«
»Unterhalten wir uns im Distriktgebäude darüber«, schlug ich vor. »Nehmen Sie Ihre Zahnbürste mit, Cullow. Von mir aus auch einen Schlafanzug. Sie sind vorläufig noch Untersuchungshäftling, da stehen Ihnen solche Dinge zu.«
Er sah müde zu uns auf.
»Haben Sie die anderen auch schon?« fragte er.
»Wir haben Rissotkins, und wir werden noch heute abend Qualler verhaften.«
Er nickte ein paarmal dumpf vor sich hin, dann stemmte er sich langsam hoch und ging in die durch einen Vorhang abgetrennte Dusch- und Waschecke. Aus reiner Gewohnheit folgte ich ihm und sah, wie er seine Zahnbürste aus dem Becher nahm und beiseite legte. Er griff nach dem elektrischen Rasierapparat, schüttelte aber plötzlich den Kopf und legte ihn wieder hin. Auf einmal ging alles so schnell, daß ich nichts tun konnte. Seine Hand fuhr plötzlich zum Mund, ich hörte ein leises Knirschen, sprang auf ihn zu, aber da roch ich auch schon den bitteren, scharfen Geruch von Mandeln. Cullow bäumte sich auf. Die erste Schmerzwelle toste bereits durch seinen Körper. Es dauerte keine ganze Minute, bis ihn die Blausäure getötet hatte.
***
Mr. High sah mich abwartend an.
»Ich stand daneben, Chef«, gab ich zu. »Aber ich konnte nichts tun. Er hatte sich für diesen Fall vorbereitet. Die kleine Kunststoffkapsel, die er zerbiß, muß unter dem elektrischen Rasierapparat auf dem Ablageglas über dem Waschbecken gelegen haben. Ich sah eine schnelle Handbewegung, sah, daß er kaute und schluckte — aber da war es schon zu spät.«
Mr. High nickte.
»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, Jerry. Aber Sie wissen, daß wir über solche Vorfälle einen genauen Bericht zu liefern haben. Setzen Sie das auf, sobald Sie Zeit dafür haben.«
»Ja, Chef«, versprach ich.
»Etwas anderes«, fuhr unser Distriktchef fort. »Was ist mit Morella?«
»Wir sind zweimal bei ihm gewesen. Das erste Mal auf dem Flugplatz, gleich bei seiner Ankunft. Und dann heute nachmittag im Hotel. Wir haben ein paar nichtssagende Redensarten losgelassen, aus denen er nicht schlau werden konnte.«
»Und Sie meinen, das wirkt?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Hoffen wir es.«
»Sobald sich in der Sache etwas Wichtiges tut, möchte ich umgehend informiert werden — auch wenn es mitten in der Nacht sein sollte.«
»Okay, Chef.«
»Danke, Jerry. Das wäre alles.«
Ich kehrte in unser Office zurück, wo Phil mir schweigend die Zigaretten-Schachtel hinhielt. Ich bediente mich, Ich ließ mir sogar von ihm Feuer geben und trat mit der Zigarette ans Fenster, um hinab auf die Straße zu blicken. Es wimmelte von Passanten auf den Gehsteigen, von Autos auf den Fahrbahnen. Ich dachte an den jungen Cullow. Ich machte mir Vorwürfe.
»Nun hör schon endlich auf!« sagte Phil plötzlich hinter mir. »Glaubst du, mir wäre es anders ergangen? Ich hätte ihm ebensowenig helfen können; niemand hätte das vermocht. Bei diesem elendem Zeug kannst du einfach nichts machen. Es
Weitere Kostenlose Bücher