Jerry Cotton - 0526 - Zwei Schluessel fuer die Hoelle
Maskerade durchschaute. Ich halte es sogar für möglich, daß einer der Männer Ricon erkannte, und daß Ricon genau in jenem Moment schoß, wo ihm klarwurde, daß er sich verraten hatte. Patterson und Heartfield haben den Fall, glaube ich, von dieser Seite her aufgerollt. Über einen der ermordeten Bankbeamten stießen sie auf die richtige Spur. Eine andere Erklärung weiß ich im Augenblick nicht. Wir müssen diese Spur aufnehmen und die alten Protokolle nochmals durchsehen — vielleicht gelingt es uns, die Denkvorgänge der beiden Männer nachzuempfinden. Kommen wir noch einmal auf diese Joyce Heartfield zu sprechen. Was ist das für ein Mädchen, Jerry?«
»Eine Mörderin, Sir«, sagte ich gelassen.
***
Mr. High zeigte sich nicht überrascht. Das war freilich nichts Ungewöhnliches. Es ist sehr schwer, Mr. High zu verblüffen.
»Daß sie ihren Bruder nicht mochte, erkannte ich schon bei meinem ersten Besuch. Daß sie ein Tatmotiv hatte, stand gleichfalls von vornherein fest…«
»Sie sollte vergiftet werden«, meinte Mr. High. Er lächelte matt und fand selbst die naheliegende Antwort. »Sie hat das Zeug selbst in die Flasche geschmuggelt, nicht wahr?«
»Genau dosiert«, nickte ich. »Gerade genug, um Symptome einer gefährlichen Vergiftung zu zeigen, aber zu wenig, um daran zu sterben. Das Manöver diente allein dem Zweck, uns auf eine falsche Fährte zu führen. Noch ein Punkt machte mir klar, daß sie es gewesen sein muß, die den Bruder tötete. Das Manöver mit dem zerbrochenen Küchenfenster sollte uns das Eindringen eines Fremden — eben des Mörders — vorgaukeln. Der einzige Fremde jedoch, der nachweislich das Haus betrat, war Patterson. Er kam durch den Keller. Joyce arbeitete mit dem Butler zusammen. Sie hat sich von ihm die Luger stehlen lassen. Jarvis hatte möglicherweise keine Ahnung, welchem Zweck das Manöver diente. Jetzt, wo Heartfield tot ist, weiß ich natürlich, daß er zum Handlanger einer Mörderin wurde. Er schweigt, um sich nicht selbst zu gefährden.«
»Haftbefehl?« fragte Mr. High.
Ich schüttelte den Kopf. »Es geht nicht nur um Joyce. Pattersons Hinterleute sind machtvoll und skrupellos. Wenn wir Joyce und die Millionensucher im Auge behalten, schlagen wir mehrere Fliegen mit einer Klappe.«
»Wanzen!« korrigierte Phil.
»Es ist unser Job, mit Ungeziefer fertig zu werden«, sagte ich trocken.
***
Joyce fuhr mit dem Taxi in die Stadt. Dort besuchte sie Dr. Shreaver, ihren Arzt. »Sie können ganz unbesorgt sein«, versicherte er ihr nach der Untersuchung. »Die Vergiftung ist ohne jede Nachwirkung geblieben.«
»Ich habe eine Bitte, Doktor«, sagte Joyce. »Ich möchte Ihre Praxis durch den Hinterausgang verlassen. Wäre das wohl möglich?«
»Gewiß«, meinte der Arzt verblüfft. »Aber warum wollen Sie das denn tun?«
»Zwei aufdringliche Reporter verfolgen mich. Ich möchte sie abschütteln.«
»Oh, das kann ich gut verstehen. Diese Presseleute sind wirklich von penetranter Neugierde, nicht wahr?« Er erhob sich und geleitete seine Patientin durch einen Seitenausgang nach unten.
»Sie müssen jetzt den Hof überqueren«, sagte er. »Sehen Sie die Pforte in der Mauer? Sie ist unverschlossen und mündet in einen schmalen Gang. Von dort gelangen Sie ungesehen zur 59ten Straße.«
Joyce bedankte sich. Fünf Minuten später stieg sie auf der 59ten Straße in ein Taxi. Auf der Fahrt von Long Island in die City hatte sie sich zwar nicht beobachtet gefühlt, aber sie hielt es für klüger, gewisse Vorsichtsregeln zu beachten.
Joyce ließ sich in der 23ten Straße absetzen. Sie betrat ein Lederwarengeschäft und kaufte sich einen eleganten Koffer. Mit diesem Koffer ging sie bis zur Elften Avenue. Dort war die Grover Bank — ein nicht sehr großes, aber sehr renommiertes Privatunternehmen.
Sie ging hinein. Ein Schild zeigte ihr, daß sich die Safekammern im Keller befanden. Eine Minute später stand sie am Tisch der beiden Kontrollbeamten. »Ich möchte den Inhalt des Safes 1234 KA abholen«, sagte sie kühl.
Die Beamten schenkten ihr einen kurzen, aber sehr genauen Blick. »Moment bitte«, sagte einer von ihnen und durchblätterte eine Kartei. Er zog eine Karte heraus und nickte. »Darf ich Sie bitten, mir die beiden Schlüssel vorzuweisen?«
Joyce holte zwei schmale Schlüssel aus ihrer Handtasche. »Danke, das genügt«, sagte der Beamte. »Sie wissen ja Bescheid — der Safe liegt im Raum B.«
Joyce war nicht allein in der großen, hell erleuchteten
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