Jerry Cotton - 0553 - Ein Toter wird ermordet
meinen Charly geschnappt hat.«
Ich antwortete nicht.
»Haben Sie sich inzwischen entschieden, wer Ihnen mehr wert ist: Charly oder Nora Hatching?«
»Was Sie Vorhaben, Mrs. Markson, nützt Ihnen nicht viel. Ihr Mann ist ein Mörder. Selbst wenn er diesmal davonkommt — kurze Zeit später haben wir ihn wieder. Dann muß er sühnen. Und was Sie selbst betrifft: Sie sind seine Komplicin. Ihr Überfall heute kann als doppelter Mordversuch gewertet werden, und auf Kidnapping steht…«
»Junger Mann«, unterbrach sie mich, »Sie verschwenden Ihre Zeit. Ich erwarte, daß Charly bis Mitternacht auf freiem Fuß ist. Nora Hatching lasse ich laufen, sobald ich weiß, daß Charly keinen Verfolger hat. Ende.«
Es klickte in der Leitung. Dann hörte ich das Freizeichen. Mr. High legte den Zweithörer zurück. »Ihnen bleiben drei Stunden, Jerry.«
»Ich werde sie nützen. Wo ist Markson jetzt?«
»Auf dem Weg zum Untersuchungsgefängnis. Ich habe vorhin einen Transportwagen nach North Port geschickt.« Ich nagte an der Oberlippe. »Solange wir uns um Nora Hatching bemühen, können wir uns nicht um ihren Mann kümmern. Aber ihm ist zuzutrauen, daß er den Weg zur National Bank wagt.« Mr. High nickte. »Ich habe den Chefmanager unterrichtet. Morgen früh sitzen zwei unserer Leute in der Schalterhalle.«
Ich stand auf. »Ich gehe ins Don Quichotte. Es wäre gut, Phil, wenn du dich in der 177. Straße aufhältst. Durch mein Auftauchen in der Bar könnte jemand unruhig werden und türmen wollen.«
An der Tür drehte ich mich noch mal um. »Ist Ihnen bekannt, Chef, wie es um Patricia Rice steht?«
»Sie ist noch nicht vernehmungsfähig.«
***
Die Fandango-Tänzerin schüttelte wild ihre Mähne, klapperte mit Absätzen und Kastagnetten und schlug mit dem Rock um sich, als wolle sie Fliegen vertreiben. Sie war angekündigt worden als Carmen de Castilla aus Madrid. Sie sah aus wie Lilly Smith aus dem Hafenviertel von Brooklyn. Nur wenige klatschten, als ihr Tanz zu Ende war.
Ich lehnte an der Bar und musterte die Gäste des Don Quichotte. Trotz der frühen Stunde — es war erst kurz vor elf — gab es an den Tischen keinen freien Stuhl mehr.
Zwei Mädchen bedienten an der Bar. Beide zusammen waren nicht so aufregend wie Eleonor King auf hundert Schritt Entfernung. Ich forschte nach Proof. Aber er ließ sich nicht blicken.
In meiner Brieftasche steckte ein Haussuchungsbefehl. Aber der zuständige Richter hatte ihn mir nur widerstrebend gegeben. Denn außer meinem Verdacht, gab es nichts, was ich gegen Proof Vorbringen konnte.
Ich trank einen kanadischen Whisky mit Eis und viel Soda und beobachtete meine Umgebung. Nach einiger Zeit fiel mir ein Mann auf. Er war groß und stämmig, hatte rotblonde Haarstoppeln und ein Gesicht, das ständig grinste. Er saß an der Bar und tuschelte mit einem degeneriert wirkenden Gentleman.
Nach einer Weile zog Rotschopf etwas aus der Brusttasche. Verstärkt grinsend fächerte er es diskret auseinander. Ein Blick nach rechts, ein Blick nach links. Dann durfte es sich der Gentleman ansehen.
Es waren Fotos.
Wenn schon, sagte ich mir. Das ist nicht verboten. Die können treiben, was sie wollen. Aber…
Ich äugte genauer hin. Ich sah nur die Rückseiten der Fotos. Und selbst die kamen mir bekannt vor. Es schien das gleiche Papier zu sein und der gleiche, seltsam gezackte Randbeschnitt. Ähnliche Fotos hatte ich heute morgen in der Hand gehabt, als ich bei John Elliot, gewesen war.
Der Gentleman schmunzelte. Der Rotschopf steckte die Fotos weg. Dann flüsterten die beiden miteinander.
Ich trank meinen Whisky aus und wartete. Etwas Unaussprechliches hatte meine Nerven gepackt und zerrte an ihren Enden. Ich fühlte mich gereizt. Meine Kopfhaut juckte. Ich spürte: Um mich braute sich etwas zusammen.
Etwas später rutschte der Rotschopf vom Hocker und ging zu den Waschräumen. Ich folgte ihm.
Hinter der Bambuswand, die die Türen verbarg, drehte ich diesmal den rechten Türknauf. Ein kurzer erleuchteter Gang führte nach hinten. Die Wände waren gekachelt. Durch die erste Tür durften nur Ladys. Hinter der zweiten fand ich den Rotschopf.
Er beugte sich über ein Waschbecken und schrubbte die Hände, als hätte er vorher in einem Teerfaß gemantscht. Ich benutzte das Becken daneben, schüttete mir kaltes Wasser ins Gesicht und griff nach einem der Papierhandtücher.
Rotschopf rieb die Hände unter dem Heißlufttrockner.
»Sie sind doch Roger Wellfare«, sagte ich.
Er drehte den Kopf.
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