Jerry Cotton - 0561 - Die vertauschte Moerderin
16. Straße. Im Hauptraum klapperten vier Stenotypistinnen auf elektrischen Schreibmaschinen. Ich wurde von einem großen Mädchen in Empfang genommen. »Ich heiße Suzanne Wyll. Ich habe versucht, Sie noch in Ihrem Büro zu erreichen, Mr. Cotton, aber Sie waren schon unterwegs. Mr. Nichols bedauert unendlich, aber er konnte die Verabredung nicht einhalten. Er bittet Sie, in einer Stunde noch einmal wiederzukommen. Selbstverständlich können Sie auch warten.«
»Ich möchte warten.«
Miß Wyll führte mich in das Hauptbüro, in dem außer Nichols großem Schreibtisch ein schlichter Tisch für Suzanne Wyll stand. Sie bot mir Zigaretten und einen Drink an. Ich akzeptierte nur die Zigarette. Suzanne Wyll setzte sich mit mir an den runden Konferenztisch und rauchte eine Zigarette mit. Sie schlug die Beine übereinander, und obwohl sie ein streng geschnittenes schwarzes Kleid trug, ließ sie dabei viel Knie sehen. Wenn man sie genauer ansah, erkannte man, daß sie nicht mehr so jung war, wie sie auf den ersten Blick wirkte. Ich schätzte, daß sie die Dreißig nahezu erreicht haben mußte. Aber sie war eine attraktive Frau. Ihr dichtes rötliches Haar war kurz geschnitten. Die Augen zeigten ein tiefes Jadegrün. Wenn sie lächelte, sah man ein ausgezeichnetes Gebiß, wenn sie den Mund schloß, wirkten die Lippen schmal und der ganze Mund ein wenig verkniffen.
»Sind Sie Mr. Nichols’ Sekretärin?«
»Sekretärin, Bürovorsteherin, Blitzableiter, Kaffeeköchin usw. Alles in einer Person und für ein Gehalt.«
»Arbeiten Sie schon lange für ihn?«
Sie dachte kurz nach. »Ungefähr acht Jahre! Als ich bei ihm anfing, war ich seine einzige Stenotypistin, und David beriet höchstens ein Dutzend Klienten.«
, »Wieviel Klienten hat das Büro jetzt?«
Sie lachte. »Immer noch nicht viel mehr als ein Dutzend, aber jeder einzelne ist ein Schwergewicht. David Nichols ist heute eine erstklassige Adresse für Vermögensverwaltung und Anlageberatung. Durch David sind einige ohnedies schon sehr reiche Leute noch reicher geworden. Seitdem zahlen sie ihm gute Honorare und drängen sich danach, von ihm beraten zu werden. Alle reichen Leute sind verrückt darauf, noch reicher zu werden. Verstehen Sie das, Mr. Cotton?«
»Kaum! Meine Einkünfte hängen von Amerikas Staatskasse ab. Wenn ich den Finanzminister im Fernsehen jammern höre, wie pleite die USA sind, gerate ich jedesmal in Versuchung, ihm meinen Gehaltsscheck zurückzuschicken. Doch zur Sache: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Miß Wyll, war Eleonor Flinter durchaus nicht David Nichols’ größte Klientin.«
»Nicht seine größte, aber eine sehr bedeutende, und bestimmt seine schwierigste Kundin.« Sie lachte. »Jeder ihrer Auftritte in diesem Büro ähnelte einer Juwelenshow im Waldorf-Astoria.«
»Mr. Nichols kannte die Flinter-Juwelen genau?«
»Selbst ich kannte einen erheblichen Teil davon, Mr. Cotton. Mrs. Flinter takelte sich mit ihrem Schmuck auf wie eine Fregatte, die bis über die Toppen geflaggt wird.«
»Wußte Nichols auch, wo und wie die Juwelen untergebracht waren?«
Suzanne Wyll beugte sich vor und drückte ihre Zigarette aus. »Wollen Sie die Fragen nicht lieber Mr. Nichols selbst stellen. Ich weiß nicht, ob ich befugt bin, sie zu beantworten.«
Der Anwalt ließ lange auf sich warten. Erst gegen Mittag erschien er auf der Bildfläche.
»Tut mir mächtig leid, G-man«, erklärte er, »aber an der Börse war heute der Teufel los. Außerdem mußte ich zwei Grundstücke besichtigen, die einer meiner Klienten kaufen will. Darf ich mal telefonieren, bevor wir miteinander zu reden anfangen?«
Er wartete meine Zustimmung nicht ab, sondern befahl dem Mädchen: »Verschaff mir den dicken Smith!« Während er schon den Hörer am Ohr hatte, erklärte er: »Ich habe zwei Klienten, die Smith heißen. Wir unterscheiden sie als den dicken und den dünnen Smith. Kein körperliches Merkmal übrigens. Der dicke Smith besitzt ungefähr vierzig Millionen, der dünne nur knappe zwanzig.« Er rief in die Muschel. »Hallo, Mr. Smith! Hier ist Nichols! Lassen Sie die Finger von den Grundstücken. Sie sind in Cents nicht das wert, was der Besitzer in Dollars haben will. Gut, ich schicke Ihnen die Begründung für meinen Rat schriftlich.« Er verdrehte die Augen und machte seiner Sekretärin wegwerfende Handzeichen. Suzanne nahm den Hörer vom Zentralapparat, schaltete sich in die Leitung ein und sagte: »Ein Gespräch aus Europa für Sie, Mr. Nichols. Bitte,
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