Jerry Cotton - 0561 - Die vertauschte Moerderin
dem Regal genommen worden war. Auch die Schreibtische in den Büroräumen, die Aktenordner, die Schreibmaschinen — alles war mehr oder weniger verstaubt. Lediglich in dem Zimmer, das offenbar einmal als Chefbüro gedient hatte, entdeckten wir Anzeichen dafür, daß der Raum von jemandem betreten worden war. In diesem Zimmer stand auch das Telefon, dessen Nummer wir zwischen den Geldscheinen gefunden hatten.
Nicht viel anders sah es in der Wohnung aus, in der beide Morde verübt worden waren. Wie das Chefbüro, war auch die Wohnung von Zeit zu Zeit benutzt worden, allerdings hatte sich die Benutzerin — wenn es wirklich eine Frau war — auf das Schlafzimmer und den Arbeitsraum beschränkt. Weder die Küche noch der vierte Raum, der nicht einmal eine Lampe besaß, waren von ihr betreten worden.
In der Garage stand der Lieferwagen, von dem Rasting gesprochen hatte. Der Tank war halb voll, die Reifen noch relativ neu. Öl- und Wasserstand völlig in Ordnung. Ich zweifelte nicht daran, daß der Wagen noch vor kurzer Zeit gefahren worden war. Aber die Frage blieb offen, wer ihn gefahren hatte.
Ich fuhr nach Hause, rasierte mich, wechselte die Wäsche und goß drei Tassen Mokka hinunter. Dann schwang ich mich in den Jaguar, um die Geschichte der Diamond-Getränkegesellschaft aufzuklären. Ich brauchte den Vormittag und den halben Nachmittag dazu, und es stellte sich heraus, daß die Geschichte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt durchaus nicht geheimnisvoll war.
Ein gewisser Jefkin Diamond hatte das ganze Haus bereits vor zehn Jahren von einer Hausverwaltungsgesellschaft gemietet. Er hatte im Erdgeschoß die Bar eingerichtet, in der ersten Etage den Getränkevertrieb aufgezogen und die zweite Etage als Privatwohnung benutzt. Vor zwei Jahren hatte er auf den Nightclub verzichtet; William Rasting war an seine Stelle getreten. Anscheinend waren Diamonds Geschäfte nicht sehr gut gegangen, denn vor einem Jahr hatte er der Gesellschaft mitgeteilt, er beabsichtige, auch die erste Etage aufzugeben und nur die Wohnung zu behalten. Er hatte sich ein wenig mit der Verwaltung gestritten, weil diese die beiden Etagen nur zusammen vermieten wollte. Schließlich hatte Mr. Diamond auf sein Vorhaben verzichtet und sich nicht mehr gemeldet. Da die Mieten weiter pünktlich gezahlt worden waren, hatten die Vermieter angenommen, Jefkin Diamond betrieb sein Geschäft weiter in dem Haus und wohne auch darin.
Jetzt stellte sich heraus, daß der fast siebzigjährige Mann vor etwa acht Monaten nach Florida gezogen und wenig später an einem Schlaganfall gestorben war. Wer die Mieten gezahlt, wer — wenn auch nur gelegentlich — das Büro und die Wohnungen benutzt hatte, das alles blieb geheimnisvoll und ungeklärt.
Erst am Nachmittag kam ich ins Büro zurück. Ich fand eine Notiz auf meinem Schreibtisch, die besagte, daß Inspektor Sadley von der Newark-Mordkommission meinen Anruf wünsche. Ich erreichte ihn in seinem Büro, und er fragte sofort: »Noch kein Licht in dem Flinter-Fall?«
»Kein Licht, aber zwei Morde. Jemand hat mit einer 26er Kanone zwei Berufsganoven niedergeschossen, verlor seine Schuhe dabei, und zur gleichen Zeit saß David Nichols im Erdgeschoß des Hauses, in dessen zweiter Etage die beiden Männer umgebracht wurden.«
»Sie drücken sich so klar aus wie ein Politiker, Cotton. Können Sie trotzdem zu mir herüberkommen?«
»Ist es wichtig?«
»Ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Obwohl ich mächtig Sehnsucht nach meinem Bett hatte, fuhr ich nach New Jersey hinüber. Sadiey erwartete mich in seinem Büro. Er quirlte eine massive Zigarre zwischen den Zähnen.
»Hat sich Diane Jagg inzwischen wieder einmal bei Ihnen gemeldet?« fragte er.
Ich verneinte. »Seit sie weiß, daß ich sie genauso festnehmen würde wie jeder andere Polizist, verzichtet sie auch auf Telefongespräche.«
»Als sie Ihnen erzählte, sie wäre gekidnappt worden, behauptete sie, ein junger Mann auf einem Motorrad hätte ihr den Weg zur Flinter-Villa zeigen wollen. Sie hätte noch gesehen, wie das Motorrad von dem Räumbagger gerammt worden wäre. Mehr wußte sie nicht über ihn.« Inspektor Sadley schob mir eine schmale Akte herüber. »Heute morgen erhielt ich diese Vermißtenmeldung.«
Ich schlug die Akte auf. Das beigefügte Foto zeigte einen jungen Mann von zwei- oder dreiunüzwanzig Jahren. Sein Name'war Fredenc Dean Cartwell.
»Er stammt aus Connecticut«, erklärte der Inspektor. »Als Gast verbrachte er ein paar Ferientage bei den
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