Jerry Cotton - 0565 - Ein Teenager soll sterben
unterhalb der Rundbogen abspielte, wurde dadurch nur in ein um so intensiveres Dunkel getaucht.
Meine Gedanken kreisten immer wieder um Forster. Er blieb für mich die Schlüsselfigur des Verbrechens. Er hatte mehr als zweihundert Dollar Miete für sein Apartment bezahlt, aber wenn man unterstellte, daß er monatlich mehr als tausend verdient hatte, war anzunehmen, daß er eine Menge davon für seine geliebte Tochter June hatte abzweigen können.
Wenn das zutraf, hatte June sich mit Hilfe eines großzügig bemessenen Taschengeldes die guten und teuren Sachen mühelos leisten können. Selbst der Umstand, daß sie mit einem jungen Mann eine Bar besucht hatte, war kein Grund, June zu verurteilen. Sicherlich war sie nicht die erste und einzige Minderjährige, die vor der Zeit versucht hatte, etwas von der erregenden Nachtklubatmosphäre einzuatmen.
Trotzdem saß ich gegen halb zehn Uhr abends in der Tuxedo-Bar.
Ehe ich mir einen Gin mit Tonic bestellte, warf ich einen Blick auf die Getränkekarte. Ich grinste amüsiert, als ich daran dachte, welches Gesicht unser Zahlmeister ziehen würde, wenn ich ihm die Spesenrechnung präsentierte.
Das Tuxedo glänzte durch gepfefferte Preise. Die dezent-luxuriöse Einrichtung versuchte die Preisgestaltung zu rechtfertigen. Die farbigen Kellner trugen knallrote Phantasiefräcke, und die langbeinigen Zigarettengirls waren erste Klasse. Zum Tanz spielte das Quartett eines blinden Pianisten. Die Musik war unaufdringlich — wie fast alles in dem Lokal.
Es wurde halb elf, ehe sich der Laden allmählich füllte. Um die Tanzfläche herum saßen fast ausschließlich Pärchen. Der Bartresen im Hintergrund des Lokals war von Männern belagert. Sie wirkten erfolgreich und selbstsicher und schienen sich untereinander zu kennen.
Ich winkte einen Ober heran, dessen Gesicht mir gefiel. »Ich suche einen von Junes Freunden«, flüsterte ich ihm zu. »Es ist sehr wichtig.«
Er hob die Augenbrauen. »Pardon?«
»June Forster«, sagte ich. »Mann, Sie kennen sie doch! Sie kommt oft hierher.«
»Bedaure, Sir«, meinte er. »Ich arbeite erst seit einer Woche in diesem Lokal. Ich kenne die meisten Gäste nur vom Sehen.«
Ich fragte einen zweiten Kellner, aber auch der behauptete, June Forster nicht zu kennen. Ob es überhaupt Sinn hatte, noch länger hier herumzusitzen? June war vermutlich einmal hier gewesen, und damit hatte sich ihre Neugierde erschöpft.
»Zahlen, bitte«, sagte ich.
»Bitte, Sir. Sechs Dollar…«
»Bringen Sie mir noch einen«, stieß ich hervor. Ich blickte ihn dabei nicht an. Ich sah nur das Girl, das sich an die Bar lehnte und ein paar Worte mit dem Mixer wechselte.
Das Mädchen trug ein schulterfreies goldflimmerndes Cocktailkleid von jener raffinierten Schlichtheit, die man selten unter hundert Dollar angeboten bekommt. Aus diesem Flimmern wuchs eine runde, glatte Schulter von atemberaubendem Ebenmaß. Die Linie des langen schlanken Halses war von klassischer Schönheit. Aber es war das Profil, das meinem Herz einen Tritt gab und es zu höheren Schlagzahlen anspornte.
June Forster!
An der Bar wurde kaum noch gesprochen. Die Köpfe der Männer sahen aus, als hätte man sie auf eine Schnur gezogen. Alle starrten das Girl an. Sie war die Aufmerksamkeit wert.
June Forster hatte das leuchtende blonde Haar zu einer raffinierten Abendfrisur hochgesteckt. Im Nacken kräuselten sich ein paar widerspenstige Haare, in denen sich das Licht der Barlampen fing.
Ich war froh, daß ich von einer Säule halb verdeckt wurde. Ich konnte abwarten und beobachten, was June hier trieb und wen sie erwartete.
Sie war also nicht entführt worden. Aber was tat sie hier — offensichtlich allein? Der Mixer schien sie zu kennen. Sein breites bewunderndes Lächeln deutete das an. Er überreichte ihr ein Glas. Einer der Männer rutschte von seinem Hocker, um June Platz zu machen. Sie bedankte sich und setzte sich. Dabei wandte sie mir und dem Lokal den Rücken zu — aber was für einen Rücken! Ich strich mir mit der Hand über die Augen. Phantastisch, was ein Kleid ausmachte! Wie hatte ich June nur für ein simples Schulgirl halten können! Sie besaß die Rasse und die Klasse eines Stars — und sie wußte es offenbar auch.
Ich hatte keine Ahnung, wann, wie und wo sie hereingekommen war. Sie hatte plötzlich an der Bar gestanden. Aber das genügte mir. Ich würde mit ihr sprechen können — und diesmal hatte ich nicht vor, sie wie ein rohes Ei zu behandeln.
Der Ober brachte mir das
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