Jerry Cotton - 0581 - Ich und der Krallenmoerder
mich auf einen der Stühle und untersuchte den Schieber. Die Öffnung, die er freilegte, war etwa handtellergroß und mit einem Drahtgitter versehen. Das Rohr selbst war aus solidem Eisenblech gefertigt. Ich stellte enttäuscht fest, daß es kaum eine Möglichkeit gab, die Schieberöffnung in einen passenden Einstieg zu verwandeln — und selbst, wenn ich das schaffen sollte, stellte sich die Frage, wie und wo ich das Rohr wieder verlassen konnte.
Ich legte mich auf ein Bett und verschränkte die Arme unter dem Nacken. Ich versuchte mich in die Gedankengänge der Gangster hineinzuversetzen. Was hatten sie davon, wenn sie mich hier gefangenhielten? Darauf gab es vielerlei Antworten, aber nur eine war für mich bedeutungsvoll.
Fest stand, daß mich weder der Wirt noch seine Freunde wieder laufenlassen konnten. Auf diese Tatsache mußte ich mich mit allen Konsequenzen einstellen.
Ich schreckte hoch und setzte mich auf, als im Korridor Schritte ertönten. Es waren kleine, schlurfende Schritte von der Art, wie sie entstehen, wenn zwei Männer eine ziemlich schwere Last zwischen sich tragen.
Jemand stieß die Tür auf. Ich erhob mich.
Ich sah Wilson im Kellergang stehen. Er war diesmal nicht mit seinem Klappmesser, sondern mit einer Maschinenpistole erschienen. Er hielt die Waffe schußbereit im Anschlag. Ich merkte, wie sich in meiner Magengegend ein Knoten bildete.
»Sie kriegen Besuch, Schnüffler«, höhnte Wilson. »Drehen Sie sich um! Stellen Sie sich mit dem Gesicht zur Wand und rühren Sie sich nicht.«
Mir blieb keine andere Wahl, als zu gehorchen. Die schleppenden Schritte näherten sich. Ich hörte, wie ein schwerer Gegenstand abgesetzt wurde. Ein Mann fluchte leise: »Ich habe mir die Hand aufgerissen.«
Ein anderer lachte. Ich erkannte die Stimme wieder. Sie gehörte Bill. »Was ist das schon!« spottete er. »Den beiden wird bald was ganz anderes aufgerissen.«
Sie gingen zur Tür. Sie fiel dröhnend ins Schloß. Der Schlüssel wurde herumgedreht und der Riegel vorgeschoben. Ich wandte mich um.
Der Koffer stand in der Nähe der Tür. Es war ein gewaltiges Ding, schwarzglänzend und mit vernickelten Beschlägen versehen, ein richtiger Überseekoffer. Ich verkantete ihn ein wenig, um festzustellen, wie schwer er war.
Dann löste ich die breiten Riemen, die um ihn lagen. Die beiden Schnappschlösser ließen sich mühelos öffnen. Da der Koffer hochkant auf seiner Schmalseite stand, konnte ich den Deckel wie eine Tür zur Seite schwingen lassen.
Der Inhalt kippte mir entgegen.
Ich fing ihn mit beiden Armen auf, um ihn vor einem Fall auf den harten Betonboden zu bewahren.
Es war Fay Merlin.
***
Ich bettete sie auf eine Matratze und schob ihr eine Wolldecke unter den Kopf. Fay trug keinen Kopfverband mehr. Dort, wo sie von der Stahlkralle verletzt worden war, befand sich ein großes Heftpflaster. Das Gesicht der jungen Frau war totenblaß. Ich hob eines der geschlossenen Lider.
Fay Merlin stöhnte leise. Ihr Kopf rollte zur Seite. Ich richtete mich erleichtert auf. Sie lebte noch.
Irgend etwas konnte nicht an meinen Kombinationen stimmen. Stokeley war nicht mit Fay geflüchtet. Er hatte es vorgezogen, allein zu verschwinden.
Fay Merlin trug ein schlichtes blaues Kostüm mit einem hellblauen Pulli. Sie hatte Strümpfe an, aber keine Schuhe an den Füßen. Ihre Aufmachung erinnerte an eine Stewardeß. Dazu paßte auch eine goldene Spange, die sie auf der linken Jackenseite trug.
Ich wußte nicht, woher ihre Ohnmacht rührte. Soweit ich sehen konnte, hatte Fay keine weitere Verletzung davongetragen. Möglicherweise war sie mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen worden.
Es dauerte einige Minuten, ehe sie zu sich kam. Blinzelnd hob sie die Lider. Ich sah ihr Erschrecken, als sie mich am Kopfende des Bettes sitzen sah.
Sie versuchte, den Oberkörper aufzurichten, fiel aber sofort wieder zurück. »Mein Kopf!« murmelte sie. Sie schloß die Augen, öffnete sie aber sofort wieder. Ihre Blicke huschten durch den trostlosen Keller. »Wo bin ich hier?«
»Im Keller eines Lokals, das sich Shadrack nennt«, informierte ich sie.
Ich sah, wie schwer es ihr fiel, sich auf das Geschehen zu konzentrieren.
»Und wie kommen Sie hierher?« fragte sie mich.
»Auf meinen eigenen Beinen«, sagte ich. »Die Burschen haben mich allerdings mit einem Revolver gezwungen.«
»Mein Mund ist pulvertrocken«, würgte Fay Merlin hervor. »Geben Sie mir bitte etwas Wasser.«
»Ich wünschte, ich könnte Ihren
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