Jerry Cotton - 2905 - Ein Steckbrief fur den Tod
einen verwahrlosten Eindruck. Es stank nach Rattenkot, die herumstehenden Pappkartonstapel waren offenbar vergessen oder einfach zurückgelassen worden. Einzelne Fensterscheiben waren eingeschlagen. Eine funktionierende Beleuchtung gab es nicht. Gerümpel deutete darauf hin, dass hier Obdachlose untergekrochen waren. In dem Lagerhaus herrschte ein schummriges Halbdunkel. Nur durch die Schiebetür und die wenigen Fenster drang etwas Tageslicht hinein. Meine Taschenlampe wollte ich nicht einsetzen, weil ich mich selber dadurch zu einem leichten Ziel machte.
»FBI!«, rief ich gellend. »Waffen runter!«
Ich konnte weder Jamie Hoskins noch seine Kollegen irgendwo entdecken. Phil und ich rückten weiter vor, wobei wir uns gegenseitig Deckung gaben. Wir hielten unsere Pistolen im Beidhandanschlag.
»Vorsicht, Jerry!«
Als Phils Warnung ertönte, hatte ich selbst schon die Bewegung am Rand meines Gesichtsfeldes wahrgenommen. Ein junger Mann kam hinter einem Stützpfeiler hervor. Aber ich bemerkte sofort, dass von ihm keine Gefahr ausging. Er hielt seine zitternden Hände gut sichtbar auf Schulterhöhe, in seinen Fingern befand sich keine Waffe.
Seine Kleidung war schmutzig und abgetragen, auf seinem wirren Haarschopf hatte er eine Yankees-Baseballkappe. Die Augen in dem unrasierten Gesicht starrten mich mit einer Mischung aus Furcht und Hoffnung an. Das konnte ich trotz der Entfernung erkennen.
»Wir sind vom FBI«, wiederholte ich, diesmal mit leiserer Stimme. Und ich trat einige Schritte auf ihn zu.
»Bitte helfen Sie mir!«, flehte der arme Schlucker. Er zitterte am ganzen Körper. »Diese Irren sind hier eingedrungen und machen Jagd auf mich. Ich weiß nicht, was das soll, ich habe denen nichts getan. Sie haben auf mich geschossen. Ich konnte zunächst weglaufen. Aber sie sind immer noch hier. Die wollen mich tot sehen.«
Ich hatte eine Vermutung, nachdem ich mir den jungen Mann näher angeschaut hatte. Aber dafür war später immer noch Zeit. Jetzt mussten wir ihn erst mal in Sicherheit bringen.
»Phil, schaffst du den Gentlemen bitte aus der Schusslinie? Ich nehme mir zusammen mit Steve und Zeery die Kautionsjäger vor.«
»Wird gemacht, Jerry. Ich fordere außerdem Verstärkung an, damit wir den Block abriegeln können. – Kommen Sie, ich bringe Sie nach draußen.«
Phils letzter Satz galt dem verängstigten Mann, den ich für einen Obdachlosen hielt. Vermutlich gehörte er zu den Leuten, die in dem aufgegebenen Lagerschuppen hausten. Das konnten wir später immer noch herausfinden. Phil packte den Unrasierten am Jackenärmel und zog sich mit ihm in Richtung Schiebetür zurück, wobei er seine Waffe schussbereit hielt. Nun war der Unglückliche in sicheren Händen.
Ich griff zum Handy, um mich mit Steve Dillaggio zu beraten. Jamie Hoskins, Paul Birkin und Ed Taylor mussten immer noch im Gebäude sein. Momentan schwiegen die Waffen. Doch bevor ich den italienischstämmigen G-man anrufen konnte, peitschten erneut Schüsse auf.
Ich rannte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Es hatte sich etwas geändert. Kurz zuvor waren es nur die Pumpguns gewesen, aus denen gefeuert wurde. Aber nun hatte ich auch die Schussgeräusche von SIGs vernommen. Offenbar lieferten sich meine Kollegen mit den Verdächtigen ein heftiges Feuergefecht.
Im Näherkommen bemerkte ich einen Mann, der verletzt auf dem Boden lag. Er fluchte, unter seinem linken Bein breitete sich eine Blutlache aus. Erleichtert sah ich, dass nicht einer meiner FBI-Kollegen verwundet worden war, sondern Paul Birkin.
Ich trat die am Boden liegende Pumpgun weg, bevor er damit noch weiteres Unheil anrichten konnte. Ich ging neben ihm in die Knie.
»Wo sind Ihre Kumpane, Birkin?«
Der Kautionsjäger blickte zu mir auf und antwortete mit einem obszönen Fluch. Da hörte ich ein Geräusch und wirbelte herum.
Ed Taylor kam auf mich zu. Er riss die Pumpgun hoch. Aber ich zielte bereits auf ihn.
»Taylor, geben Sie auf! Legen Sie die Waffe auf den Boden!«
Einen Moment lang zögerte er. Aber ich spürte, dass er verunsichert war. Dann öffneten sich seine Hände. Die Pumpgun landete scheppernd auf dem Betonboden.
»Auf die Knie!«, kommandierte ich. »Hände an den Kopf!«
Der Kautionsjäger kam zähneknirschend auch diesem Befehl nach. Ich löste mit der linken Hand meine Handschellen vom Gürtel und kam seitlich auf ihn zu, wobei ich meine SIG immer noch auf ihn gerichtet hielt. Ich legte Taylor die stählerne Acht an und durchsuchte ihn. Er
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