Jerry Cotton - 2920 - Die Reichen und die Leichen
gedanklich noch bei der Besprechung im Field Office war, beschäftigte sie sich mit diesem Aspekt ihrer Ermittlungen. Es war June gelungen, einige Namen von Familien ausfindig zu machen, die von der Agentur Au-pairs vermittelt bekommen hatten. Sie wollte zusammen mit Blair die Gastfamilien befragen, um mehr Gespür für die Arbeit der Agentur zu erhalten.
»Du glaubst also immer noch an einen Zusammenhang?«, fragte er.
Vor ihrem Aufbruch hatten June und Blair im Field Office lange über dieses Vorgehen diskutiert. So ganz überzeugt hatte sie ihren Partner zwar nicht, aber er fügte sich trotzdem in Junes Vorhaben. Lässig lenkte er den Dodge durch den zäh fließenden Verkehr über den Broadway hinauf zur Upper West Side.
»Was erwartest du dir eigentlich von diesen Gesprächen? Denkst du, Hobbs hat uns irgendwelche Zwischenfälle vorenthalten?«, fragte Blair.
Der Agenturinhaber hatte ihnen nach einigem Zögern ein Dutzend Namen von Gastfamilien geliefert, was Blair als Zeichen seiner Unschuld deutete.
»Wir werden sehen, Großer. Wenn ja, sollten unsere Besuche es zutage fördern«, erwiderte June.
Sie hatte sich nicht auf die Liste aus der Agentur verlassen, sondern durch einige Telefonate mit darauf aufgeführten Familien weitere Namen in Erfahrung gebracht.
»Dann werden wir es bald erfahren. Hier wohnt Daniel Pendergast mit seiner Familie«, sagte Blair.
Er lenkte den Dodge an die Schranke, die ihnen die Zufahrt zur Tiefgarage des Hochhauses mit Luxusapartments versperrte. Blair meldete sich über die Gegensprechanlage und erreichte so, dass der Concierge die Zufahrt freigab. Kurze Zeit später öffnete ihnen eine elegant gekleidete Frau im Kostüm die Wohnungstür.
»Special Agent Clark vom FBI. Das ist mein Partner, Special Agent Blair Duvall«, sagte June.
Alexis Pendergast prüfte die Ausweise, bevor sie June und Blair in die Wohnung führte. An einem frei stehenden Küchenblock lehnte ein korpulenter Mann, der sein Sakko über eine Stuhllehne gelegt hatte. Die dunkelblaue Weste über dem weißen Hemd sowie die Krawatte mit einem grün-roten Muster vervollständigten das Bild eines gut gekleideten Mannes.
»Das sind Agent Clark und Agent Duvall vom FBI. Mein Mann, Daniel Pendergast«, sagte Mrs Pendergast.
June hatte sich mit den Pendergasts beschäftigt und wusste daher, dass sie sich in der Wohnung einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Familien der gesamten Ostküste aufhielt. Würden Menschen wie Daniel und Alexis Pendergast sich damit einverstanden erklären, ein Au-pair mit krimineller Vergangenheit in ihr Leben zu lassen?
»Am Telefon sagten Sie, es drehe sich um Fragen zu einem unserer früheren Au-pairs«, sagte Daniel Pendergast.
June erklärte es in wenigen Sätzen und bat dann um einen Erfahrungsbericht zu dem Au-pair aus der Agentur Hobbs. Sehr schnell wurde klar, dass dies ein heikles Thema für das Ehepaar war. Nach anfänglicher Zurückhaltung ließ Alexis Pendergast schließlich die Maske der Höflichkeit fallen.
»Vernon Hobbs hat die Dreistigkeit besessen und uns eine junge Frau mit Drogenproblemen vermittelt. Natürlich stand davon nichts in ihren Personalunterlagen«, sagte sie.
June wollte wissen, wie das Ehepaar dem Schwindel auf die Schliche gekommen war.
»Wir haben Brit mit der Hand in meinem Schmuckkasten erwischt. Obwohl sie sehr gefleht hat, haben wir die Cops gerufen. Dort musste Mister Hobbs einräumen, dass er von der Vorbelastung Brits sehr wohl wusste und es uns absichtlich verschwiegen hatte«, erklärte Daniel Pendergast.
Nach diesem Besuch fuhren June und Blair zu drei weiteren Familien und erhielten so ein gutes Bild, nach welchem Muster Vernon Hobbs bei der Vermittlung seiner Au-pairs vorging.
***
Blair und June waren in einem Diner eingekehrt, um ein spätes Mittagessen einzunehmen.
»Das hat Methode, und ich kaufe ihm die Geschichte mit dem sozialen Engagement nicht mehr ab«, stellte Blair fest.
»Da stimme ich dir zu. Hobbs muss andere Gründe haben, um vorbelastete Europäer in die Wohnungen der New Yorker High Society zu bringen«, erwiderte June.
Sie trank einen Schluck Kaffee. Nachdenklich schaute sie zuerst ihrem Partner zu, der mit großem Appetit ein Steak verzehrte, bevor ihr Blick hinaus auf die Straße wanderte.
»Was denkst du?«, fragte Blair.
June wiegte den Kopf.
»In keiner der Familien, die wir heute befragt haben, ist es zu Diebstählen gekommen. Scheinbar gab es auch keine Entführungen, die sich bei dem
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