Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
frühisraelitischen Geschichte und ihre Legenden mitbrachten. Jerusalemer Gelehrte begannen, die judäischen Überlieferungen mit denen der Nordstämme zu verschmelzen: Letztlich sollte aus diesen Schriftrollen, die zur gleichen Zeit geschrieben wurden wie Homers Ilias , die Bibel entstehen.
Als Sargon II. 705 v.Chr. im Krieg fiel, hofften die Jerusalemer und sogar Jesaja, dass sein Tod den Untergang dieses üblen Reiches markierte. Ägypten sagte Unterstützung zu; die Stadt Babylon rebellierte und schickte Gesandte zu Hiskia, der seinen großen Augenblick für gekommen hielt: Er schloss sich einer neuen Koalition gegen Assyrien an und bereitete sich auf einen Krieg vor. Zum Leidwesen der Judäer war aber der neue König von Assyrien ein Kriegsherr von offenbar grenzenlosem Selbstvertrauen und unendlicher Energie: Sein Name war Sanherib.
Er nannte sich selbst »König der Welt, König von Assyrien«, als beide Titel noch gleichbedeutend waren. Assyrien beherrschte ein Gebiet vom Persischen Golf bis nach Zypern. Das Kernland im Binnenland des heutigen Irak war nach Norden durch Berge und nach Westen durch den Euphrat geschützt, aber anfällig für Angriffe von Süden und Osten. Das Assyrerreich ähnelte einem Hai, der nur überleben konnte, wenn er ständig fraß. Für die Assyrer war Eroberung eine religiöse Pflicht. Jeder neue König schwor bei seinem Amtsantritt, das »Land des Gottes Assur« zu vergrößern – Assyrien war nach seinem Schutzgott benannt. Die Könige waren zugleich Hohepriester und Feldherrn, die ihre 200 000 Mann starke Armee persönlich führten. Und wie die modernen Tyrannen unterwarfen sie ihre Untertanen nicht nur mit ihrer Schreckensherrschaft sondern auch, indem sie weite Teile der Bevölkerung von einem Ende ihres Reiches ans andere deportierten.
Der Leichnam von Sanheribs Vater wurde nicht vom Schlachtfeld geborgen – ein erschreckendes Zeichen göttlichen Missfallens. Das Reich begann zu zerfallen. Aber Sanherib schlug sämtliche Aufstände nieder, eroberte Babylon zurück und machte die Stadt dem Erdboden gleich. Sobald die Ordnung wiederhergestellt war, versuchte er sie zu konsolidieren; aufwendig baute er seine Hauptstadt Ninive um, die Stadt Ischtars, der Göttin des Krieges und der Leidenschaft, und legte Bewässerungskanäle für ihre Gärten und seinen »Palast ohnegleichen« an. Die assyrischen Könige waren eifrige Propagandisten und schmückten die Wände ihrer Paläste mit triumphalen Dekorationen, die von assyrischen Siegen und dem grausamen Tod ihrer Feinde durch Massenpfählungen, Auspeitschungen und Enthauptungen kündeten. Die Höflinge eroberter Städte zogen in Paraden durch Ninive und trugen die Köpfe ihrer Könige als makabren Schmuck um den Hals. Aber ihre Raubzüge waren vermutlich nicht grauenhafter als die anderer Eroberer – so sammelten die Ägypter die Hände und Penisse ihrer Feinde. Assyriens brutalste Ära war ironischerweise vorüber; wenn möglich zog Sanherib Verhandlungen vor.
In die Grundmauern seiner Paläste mauerte Sanherib Dokumente seiner Taten. Im Irak fanden Archäologen die Überreste seiner Stadt, die Assyrien auf dem Höhepunkt seiner Blüte zeigte, reich durch Eroberungen und Landwirtschaft, verwaltet von Schreibern, deren Aufzeichnungen in königlichen Archiven verwahrt wurden. Ihre Bibliotheken enthielten Sammlungen von Omen, die dem König bei Entscheidungen halfen, und von Beschwörungen, Ritualen und Hymnen, die göttliche Unterstützung bewahren sollten, aber auch Tafeln mit literarischen Werken wie dem Gilgamesch-Epos . Die Assyrer verehrten viele Götter, beteten zu magischen Figurinen und Geistern und vertrauten auf die Macht der Weissagung; zudem befassten sie sich eingehend mit Medizin und schrieben Rezepte auf Tafeln wie: »Wenn der Mann an den folgenden Symptomen leidet, ist das Problem … Man nehme folgende Arzneien …«
Israelitische Gefangene, die fern der Heimat in den prachtvollen Städten Assyriens mit ihren Zikkuraten und bemalten Palästen Sklavenarbeit leisteten, erlebten sie als mörderische Metropole, »die voll Lügen und Räuberei ist und von ihrem Rauben nicht lassen will«. Der Prophet Nahum beschrieb, wie »die Peitschen knallen und die Räder rasseln und Rosse jagen und die Wagen rollen«. Diese Wagen mit den achtspeichigen Rädern, die gewaltigen Armeen und Sanherib persönlich befanden sich nun auf dem Vormarsch nach Jerusalem und drohten darüber herzufallen, »wie ein Adler fliegt«, wie es im 5.
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