Jerusalem
Pfeile ihnen nichts mehr anzuhaben schienen. Die Türken erschraken vor der rasenden Wut der Reiter. Pferde, Schilde und Kettenhemden waren blutbespritzt. Aus den Maschen der Hemden hingen zerbrochene Pfeile. Die Wunden der Männer und der Pferde bluteten, aber weder das Wiehern noch die anfeuernden Schreie der Männer waren leiser geworden. Schwertschneiden klirrten auf Helme, spalteten Schilde, prallten von Krummschwertern ab oder bohrten sich zwischen die Eisenplatten von Halbrüstungen.
Die Ritter griffen blind und brüllend an, kämpften furchtlos, schienen sich für unbesiegbar und unverwundbar zu halten.
Einige Seldschuken wurden niedergehauen, die größere Anzahl ihrer Reiter in den vorderen Reihen wich zur Seite aus. Rainalds Männer hasteten den Pfad zum Tor hinauf; Fußkämpfer hielten sich stolpernd an Sätteln und Steigbügelriemen der Reiter fest. Die Frankenritter zersprengten die türkische Reiterei, kehrten wild um sich schlagend um und galoppierten zur Festung zurück. Ein Reiter nach dem anderen preschte den Hang hinauf und verschwand zwischen den Tortürmen. Als Rainald sah, dass sich alle seine Männer, die noch rennen konnten, in die Festung gerettet hatten, kehrte er selbst um. Er ritt, vor Blutverlust und Erschöpfung im Sattel schwankend, das Pferd mit dem flachen Schwert antreibend, in die Sicherheit Xerigordons. Hinter ihm schlug die schwere Balkenwand des Tores zu.
Er sprang aus dem Sattel und taumelte durch die Menge der Geflüchteten zur Leiter, kletterte zum Torturm und blickte hinunter auf das Heer der Angreifer. Er stöhnte auf. »So viele! Gottes Barmherzigkeit!«
Zwischen der Stelle, an der sich die Straße hinter das Wäldchen krümmte, und dem Fuß der Festungsmauern lagen einige Dutzend bewegungslose Körper; Männer und Pferde. Aus der Richtung Nikaias kamen Dutzende, Hunderte, Tausende reitender Bogenschützen. Das Heer teilte sich in der Nähe des steinernen Brunnentrogs, und die Türken ritten ohne Eile nach rechts und links und begannen, einen Ring um den Hügel Xerigordons zu bilden. Schweigend starrte Rainald die Streitmacht an, die in endlosen Reihen über die Brücke kam und sich verteilte. Er brauchte nicht lange nachzudenken: Xerigordon war schon jetzt eingeschlossen, und der Gegner war in einer gewaltigen Überzahl.
»Wenn ich einen Ausfall wage«, sagte er knirschend vor sich hin, »bringen sie uns um. Zu viele Feinde! Und ... vom Wasser abgeschnitten.«
Zuerst waren die Verwundeten zu versorgen. Als er die Leiter hinunterkletterte, verspürte er starken Durst; es gab noch mehr als genug Wasser für alle auf dem Festungshügel.
Das Durcheinander zwischen den Mauern und Türmen klärte sich binnen weniger Zeit. Die Verwundeten wurden versorgt; die Kundigen erleichterten etlichen Schwerverletzten mit Dolchstichen ins Herz den Weg in die ewige Seligkeit; die Pferde, noch gesattelt, band man in den Ställen fest. Ohne auf Befehle zu warten, schleppten Ritter und Fußkämpfer Waffen auf die Mauern hinauf und stellten sich wartend auf die Wehrgänge.
Die Sonne schien am höchsten Punkt ihres täglichen Bogens bewegungslos zu verharren. Die Wolken waren fortgezogen; Windstille breitete sich aus. Sengende Herbsthitze waberte zwischen den Mauern Xerigordons; bei jedem Schluck Wasser oder gemischten Weins dachten die Männer an die schwindenden Wasservorräte.
Rutgar stand in den Steigbügeln und trieb den Rappen in leichtem Galopp, der die Kräfte des Tieres schonte, auf dem feuchten Strand nach Süden, hinauf zur Straße nach Nikaia und nach Civetot. Die Hufe ließen eine deutliche Spur tiefer Eindrücke zurück. Die Fischerboote, zur linken Hand, waren nur winzige Punkte im tiefblauen Wasser des Golfs.
Seit Tagen, seit dem Ende des verstörenden Gewitters, stach die letzte Hitze des Sommers oder die erste des Herbstes auf das Grenzland herunter. Durch das Rauschen der Brandung glaubte Rutgar die Pilger singen zu hören; in Civetot feierten die Priester eine späte Morgenmesse. Rutgar hatte Chersala und Berenger in der Burg zurückgelassen und geschworen, so bald wie möglich zurückzukommen. Er näherte sich Civetot mit großer Vorsicht - er erwartete dort Ritter Rainalds Heer mit gewaltiger Beute aus den Dörfern um Nikaia anzutreffen.
Gestern hatte er vom Turm der Burg aus das Frachtschiff von Civetot ablegen und fortsegeln sehen. Der Kaiser hatte Verpflegung geschickt, die schweren Ballen, Kisten und Fässer waren ausgeladen; das Schiff lag hoch im Wasser.
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