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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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sagte Chersala und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«
    »Am besten bleibst du hier«, meinte Rutger. Bis hierher werden die Franken kaum kommen.«
 
    Ritter Rainald kniete in einer der letzten Reihen der Versammelten und nahm am morgendlichen Messopfer teil. Seine Gedanken kreisten um die Frage, ob es klüger sei, Xerigordon besetzt zu halten oder mit einem Teil der Beute nach Civetot zurückzureiten. Als die andächtige Schar, die im Halbkreis um den Maueraltar kniete, das »Ite, missa est!« anstimmte, antwortete er mit einem grob gemurmelten »Deo gratias!« und stand auf. Vor Kurzem hatte das Gewitter mit Regengüssen und Donner gehaust; Baumkronen, Gras, Büsche und Mauern glänzten vor Nässe. Andächtig bekreuzigte er sich, wandte sich ab und stapfte zur Leiter, die zum halb zerfallenen Turm hinaufführte. Er blieb neben dem Späher stehen, stützte sich schwer auf die Brüstung aus frischen Balken und schlug Waffenmeister Willem auf die Schulter.
    Zwischen dem Tor, das die Berittenen wiederhergestellt und verstärkt hatten, dem Brunnen und dem Quertal, in dem die Quelle sprudelte, spannte sich eine ununterbrochene Kette schwitzender Männer, die gefüllte Ziegenbälge, Ledereimer, fette Korngarben und frisch gesicheltes Gras hangaufwärts in die Festung wuchteten. Leere Behältnisse wanderten ebenso rasch von Hand zu Hand abwärts. Ein breiter Streifen Gras und zertrampelter Boden, vom Wasser durchtränkt, zog sich vom Brunnen bis zum Tor.
    »Vielleicht hätten wir mit der Beute nach Civetot ziehen sollen«, sagte er brummig.
    Der Alte schüttelte den Kopf. »Wir hätten nicht einmal ein Drittel mitnehmen können - und der Proviant wäre unterwegs verdorben. Jedenfalls das meiste.«
    »Hast recht. Alles ruhig im Land?«
    Längst mussten die berittenen Boten in Civetot eingetroffen sein und dort berichtet haben, wie leicht Xerigordon erobert worden war. Zwei Dutzend Späher Rainalds versteckten sich in den Wäldern ringsum, und wahrscheinlich ebenso viele seldschukische Reiter.
    »Hinter der Stadt bewegt sich etwas.« Willem hob den Arm. »Die Sonne, sie spiegelt sich auf Metall. Und auf dem Wasser des Sees.«
    »Ich kann nichts sehen«, sagte Rainald. »Wo sind sie?«
    »Links neben den Stadtmauern. Auf der freien Fläche.«
    Rainald schirmte seine Augen mit den flachen Händen ab und blickte mit angehaltenem Atem zu der angegebenen Stelle. Jetzt sah er es auch: Sonnenlicht funkelte von Metall, und bunte Farben bewegten sich zwischen ameisenhaft kleinen Gestalten.
    »Du hast recht, Meister Willem«, sagte er knurrend, »Das sind die braunhäutigen Ungläubigen. Die Seldschuken auf ihren schnellen Pferden. Gute Bogenschützen, sagt man. Sind sie einmal in Nikaia, kommen sie auch hierher.« Er holte tief Luft und rief: »Also - zu den Waffen!«
    Der Graubärtige lüpfte seinen Helm und spuckte über die Brüstung. »Mit Gottes Hilfe! Zu den Waffen, Herr Ritter. Wir locken sie in einen feinen Hinterhalt und hauen sie in Fetzen.«
    Rainald drehte sich um, lehnte sich zum Festungshof hinunter und brüllte seine Befehle. »Ein Türkenheer steht vor Nikaia! Zu den Waffen! Holt die Sättel, sattelt die Pferde. Tausend Männer sollen sich bewaffnen. Pfeile und Bogen, Schwerter und Lanzen! Gott hat uns Xerigordon geschenkt - er will, dass wir unseren Besitz verteidigen.«
    Begeistertes Geschrei stimmte ihm zu. Ein Lärmen und Rennen brach aus; Pferde wieherten, Männer schrien und fluchten. Rainald kletterte hinunter und stapfte zu seinem Quartier, dem abgetrennten Teil eines gemauerten Gebäudes mit löchrigem Dach. Seine Knappen halfen ihm, sich zu wappnen. Die Kriegsknechte, die sich um ihn versammelten, führten sein Streitross herbei.
    Rainald ritt als Erster durchs Tor. Er zügelte das Pferd und rief die Wasser schleppenden Männer an.
    »Es geht gegen die Ungläubigen! Hört auf und rennt in die Festung, wenn sie kommen - weg vom Brunnen und von der Quelle.«
    »Wir haben Wachen mit scharfen Augen an der Brücke.«
    »Gut so!«, rief Rainald und ritt ohne Eile zur Straße. Er wartete, bis sich sein kleines Heer gesammelt hatte. Die Späher, die sich auf abgehetzten Pferden zu ihm durchdrängten, berichteten aufgeregt von einer riesigen Zahl berittener Seldschuken, die sich unaufhaltsam näherten.
    »Der Herr ist mit uns!«, rief Rainald. »Folgt mir!«
    Er und seine Ritter verhielten vor der schmalen Brücke, teilten sich in zwei Gruppen und ritten in die Schlucht hinein. Die Fußkämpfer folgten

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