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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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die Steuereintreiber des Kaisers abgeführt werden müssen. Tag und Nacht schwirrten Schwärme schwarzer Vögel über den Wäldern der Umgebung, und mitunter schien es, als würde mit leisem Donner der Boden zittern. Chersala spielte mit den Gliedern der Kette und flüsterte etwas von einem unsichtbaren Heer des pferdefüßigen Gottseibeiuns, das durch die Schluchten streifte.
    »Da ist jemand«, flüsterte Chersala.
    Eine Schattengestalt kam durch das Unterholz herauf. Rutgar griff nach seinem Schwert. Doch als er sich aufrichtete, wurden im roten Schein des heruntergebrannten Feuers die bekannten Umrisse Berengers erkennbar, der von Civetot zurückkehrte. Er ließ den Zügel des Pferdes einfach fallen und setzte sich schwer auf einen der Steine, die das Lagerfeuer umgaben.
    »Habt ihr Wein?« Seine Stimme klang erschöpft, erfüllt von einer Müdigkeit, die weit über das rein körperliche Maß hinausging.
    Rutgar knüpfte den Weinschlauch von der Astgabel; der Ziegenbalg hing an einem Strauch, der im Gemäuer Wurzeln geschlagen hatte.
    »Hier, nimm«, sagte er.
    Chersala kam ebenfalls herbei, setzte sich ans Feuer und fachte die Glut an.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie.
    Berenger setzte den Weinschlauch ab und wischte sich den Mund.
    »Wie sieht es im Lager der Pilger aus?«, fragte Rutgar drängend.
    »Gestern Abend«, sagte Berenger mit brüchiger Stimme, »hat sich ein Dutzend bemitleidenswerter Pilger nach Civetot gerettet. Im Getümmel konnten sie den Seldschuken entkommen. Wollt ihr hören, was sie zu berichten hatten?«
    Rutgar sah zufällig und aus dem Augenwinkel, wie die Lichtbahn eines Sternsplitters über dem Meer aufflammte.
    »Sie kamen aus Xerigordon. Acht Tage und Nächte lang haben die Türken die Festung belagert. Nach einem Tag oder zwei gab's kein Wasser mehr. Sie waren alle halb wahnsinnig vor Durst und haben das Blut ihrer Tiere und ihre eigene Pisse getrunken - wir konnten ihr Elend nicht sehen, weil wir nicht bei ihnen waren.«
    Chersala starrte Berenger mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Dann ließ der Anführer der Seldschuken ausrufen, dass er diejenigen, die ihrem Glauben abschwören, am Leben lassen würde. Ritter Rainald und etliche zweieinhalbtausend Männer überlebten, wurden versklavt und weggeschafft. Ein riesiges Heer hat der Sultan zusammengerufen, sagen die Geflüchteten.«
    »Und die anderen ...?«
    »Die anderen«, antwortete Berenger und schüttelte sich, »die anderen sind tot. Vielleicht sind noch ein paar entkommen. Die Seldschuken haben alle getötet - sie haben sich für die niedergebrannten Dörfer und die erschlagenen Bauern gerächt.«
    »Und was bedeutet das für die Pilger im Lager?«, fragte Rutgar, obwohl er die Antwort schon kannte.
    »Letzten Endes«, sagte Berenger und nahm einen weiteren Schluck Wein, »bedeutet es, dass es zwischen dem Pilgerheer in Civetot und den Seldschuken zum Kampf kommen wird.«
    »Wann?«
    »Bald. Das unsichtbare Heer nähert sich«, sagte er und versuchte ein aufmunterndes Grinsen; es missriet ihm. »Bald werden die Truppen des Sultans hier sein, durchaus sichtbar und ohne rechte Mildtätigkeit im Herzen.«
    »Wir müssen uns verstecken«, flüsterte Chersala und wischte Weintropfen von ihrem Schenkel. »Sonst töten sie uns auch.«
    Rutgar zeigte aufs Meer hinaus. Eine seltsame Schwermut hatte ihn ergriffen. Über dem Meer und dem Grenzland wölbte sich der Nachthimmel voller erbarmungsloser Sterne. »Im Boot von Faroard bist du sicher.«
    »Und du?«
    »Ich finde ein anderes Versteck. Ich und mein feines Pferd.«
    »In Drakon würdest du sicher sein, Grünauge.«
    »Ich weiß. Ich denke an den Winter. Für die Gastfreundschaft deines Vaters würde ich arbeiten. Aber ich warte auf Kukupetros und die Ritter des Papstes. Ich hab's versprochen. Aber noch haben wir alle die Türken zu fürchten.«
    Die Blätter und Nadeln der Baumwipfel raschelten, die Brandung rauschte auf dem Strand und schlug plätschernd gegen Quader und halb versunkene Säulen. Die Geräusche, die sonst Rutgar und Chersala in den Schlaf begleitet hatten, klangen in diesen Herbstnächten geheimnisvoll, angefüllt mit dräuenden Gefahren.
    »In Drakon, bei uns, sollst du dich in Sicherheit bringen«, wiederholte Chersala. »Komm mit! Wir reiten zusammen. Morgen schon. Und wir bleiben zusammen, Ritter. Ich und du.«
    Er mischte Wein und Wasser im Krug und füllte die Becher. Berenger lehnte ab und zog sich abseits vom Feuer zum Schlafen zurück.
    Faroard und die

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