Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
Vom Netzwerk:
Mauerreste, Felsen, Gräben und fast undurchdringlicher stacheliger Bewuchs die Burg. Es schien unmöglich zu sein, dort Belagerungsmaschinen aufzustellen oder in größeren Gruppen anzugreifen.
    Rutgar kannte drei oder vier Wege durch den Irrgarten aus zersplitterndem Fels und ebenso viele entlang des Ufers. Er ritt zur Burg; die Priester der Pilger erkannten ihn und brachten ihn ins Innere. Eine halbe Stunde später stand er am Krankenlager der Grafen Gottfried Burel und Walter von Breteuils. Die Männer waren wach und erkannten, was um sie herum vorging. Berenger lehnte schweigend, mit verschlossenem Gesichtsausdruck, an einem Pfeiler und grüßte Rutgar mit einem kurzen Nicken.
    »Mit Gottes Hilfe, Ihr Herren«, sagte Rutgar langsam und betont deutlich, »sind die großen Schiffe des Kaisers schon auf dem Weg zu uns. Mit dem Gold, das mir Peter von Amiens gab, hab ich sie bezahlt, die Fischer, die sonst hier anlegen.«
    »Warst du in ... der Schlucht?«, ächzte Gottfried, nachdem er Rutgars Gestalt lange gemustert hatte und sich, offensichtlich mit Mühe, Kukupetros' Begleiters entsann. »Hast du die Krieger gesehen? Unsere Toten?«
    »Ja«, sagte Rutgar. »Ich habe sie nicht gezählt. Sie sind alle tot. Alle!«
    Eine Zeit lang schwiegen sie. Dann fragte der Graf von Breteuil: »Zwanzigtausend? Fünfundzwanzigtausend, mit den Toten in Civetot.«
    »Vergesst Xerigordon nicht, Ihr Herren«, sagte Rutgar und bemühte sich, weder verächtlich noch belehrend zu wirken. »Die bewaffnete Reise nach Jerusalem ist hier zu Ende. Gott hat sie nicht gewollt.«
    »Er hat es uns wahrlich deutlich genug gezeigt«, keuchte Burel und schloss die Augen.
    Rutgar verbeugte sich knapp und verließ die offene Halle, in der es nach Verzweiflung und Sterben roch. Berenger folgte ihm schweigend, holte ihn im Innenhof ein und fragte, den Arm um Rutgars Schulter:
    »Wie viele Türken haben sich in der Umgebung versteckt? Bereiten sie sich vor, die Burg anzugreifen? Was hast du gesehen? Du bist später gekommen als ich.«
    »Da sie sich versteckt haben«, antwortete Rutgar und wandte den Kopf ab; Berengers Atem roch nach saurem Wein, »hab ich schwerlich alle gesehen. Aber es sind mindestens so viele wie beim Sturm auf Civetot.«
    »Dann wird's uns allen schlecht ergehen«, sagte Berenger und wies auf ein Feuer. »Vielleicht können wir sie ein wenig versengen, indem wir das Gestrüpp anzünden, wenn sie stürmen. Hab ich einmal gesehen. Hundert Steppenreiter in einem brennenden Schilfwald. Alle tot. Leider auch die schönen Gäule.«
    »Du bist wahrlich eine Zierde deiner Warägertruppe. Seid ihr alle so voller Güte und Barmherzigkeit?«
    »Nur wenn es die Not gebietet.« Wieder hatte Berenger sein wölfisches Grinsen im Gesicht. »Eigentlich bin ich freundlich, gerecht und verträglich.«
    »Gebe Gott«, sagte Rutgar, »dass wir Freunde bleiben. Oder wenigstens gemeinsam für die gute Sache kämpfen.«
    Berenger lockerte seinen Griff und schlug ihm die flache Hand zwischen die Schulterblätter. »Gebe Gott, dass wir die gute Sache recht erkennen, Ritterlein.«
 
    Während des Tages und der ganzen Nacht griffen die Seldschuken die Burg nicht an. Aber in weitem Halbrund sahen die zum zweiten Mal Eingeschlossenen die Lagerfeuer des Heeres, hörten die Schreie der menschlichen Beute, das Johlen und Gelächter der türkischen Bogenreiter. Am Morgen, davor fürchteten sie sich alle, würden die Truppen des Sultans angreifen und beenden, was die christlichen Ritter angefangen hatten.
    Rutgar saß unweit der verwaisten Räucher- und Salzhütte Faroards, trank Brunnenwasser und lehnte an einem Quader. Die erschöpfte Besatzung der Burg schlief, nur die Wachen redeten leise miteinander. Lang gestreckte Wolkenbänke zogen im Mondlicht vor die starrenden Sterne. Auf der Uferseite des Kastells brannten wenige Holzscheite und Kienspäne; im Halbdunkel erkannte Rutgar den Waffenmeister Gottfried Burels, der einen Tonkrug trug.
    »Ein Krug Wein.« Giovan setzte sich neben ihn und stieß ein kehliges Lachen aus. »Das ist alles, was von der Beute geblieben ist.«
    »Mehr werden wir diese Nacht nicht trinken können«, sagte Rutgar. »Lebt Graf Burel noch?«
    »Er wird's vielleicht überleben, Jünger Rutgar.« Giovan nahm einen Schluck, wischte über den schartigen Krugrand und gab Rutgar das schwere Gefäß. »Der alte Hitzkopf ist nicht totzukriegen. Tot sind nur die anderen alle.«
    Er rülpste. Rutgar dachte an Peter den Eremiten und grinste

Weitere Kostenlose Bücher