Jerusalem
Schatten eines Habichts.
»Sie haben sich versteckt. Alle«, meinte Rutgar und ließ sich zu Boden gleiten. »Sie sind in Sicherheit, und sie beobachten die Pilger und die Seldschuken. Vater Gautmar hat sie gelehrt, sich zu verbergen.«
»Wir sollten es ihnen gleichtun.« Berenger stieg unter dem Vordach der Schmiede ab und hielt die Hand über das Feuer neben dem Amboss. Der Reiter tat, als wäre er hier zu Hause. Die Glut unter der dicken Lehmschicht strahlte kaum noch Wärme ab; die Werkzeuge des Schmieds fehlten. Die Männer tranken kaltes Wasser und versorgten die Rappen.
»Sie sind geflüchtet. Recht getan«, sagte Berenger. »Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn deine schöne Liebste nicht mit einem Essen und einem Krug Wein auf uns wartet.«
Wie als Antwort wieherte ein Pferd hinter der Schmiede. Eine Tür knarrte, schwacher Lichtschein fiel ins Freie. Chersala stand im Türrahmen und winkte lächelnd.
»Bringt die Pferde hinters Haus«, sagte sie leise. »Wir sind allein im Dorf.«
Sie versorgten die Tiere, lockerten die Sattelgurte, nahmen die Sättel aber nicht ab. Als Chersala Rutgar erleichtert umarmte und küsste und sich seine Augen ans Dämmerlicht des Wohnraums gewöhnt hatten, sah er, dass ein einfaches, aber reichhaltiges Mahl auf ihn und Berenger wartete. Während sie aßen, berichteten Berenger und Rutgar, wie es um Civetot und die Uferfestung stand.
Berenger streckte die Beine aus, lehnte sich gegen die Wand und hob den Becher.
»Dass sich euer Dorf samt Schafen und Kühen versteckt hat, ist gut. Die Türken, glaube ich, haben anderes zu tun, als in Drakon nach Christen zu suchen, denen sie die Hälse durchschneiden können. Trotzdem - wir sollten wachsam bleiben. Du bringst uns in ein Versteck, Schönste?«
Chersala nickte stumm.
»Also: Die Pferde gesattelt lassen. Ich setze mich neben den Pfad und halte Wache. Bis Mitternacht.« Er grinste behaglich. »Dann hole ich dich vom Liebeslager herunter, Ritterlein. Geschworen?«
»Versprochen!«
»Es war ein langer Tag, voll mit Tod und Blut«, murmelte Berenger und trank von dem ungemischten Wein. »Wir haben überlebt und warten nun auf die Schiffe des Alexios. Denn an keinem Fleck vieler Länder ist dein Prediger so unnütz und überflüssig wie hier.«
»Und du gehst zurück nach Konstantinopel?«, fragte Chersala.
»So ist es mir befohlen worden«, lautete die Antwort. »Aber nicht, bevor die verbliebenen Pilger entweder in Sicherheit gebracht oder abgeschlachtet worden sind.«
Rutgar starrte ihn kopfschüttelnd an. Berenger stand auf, hängte seinen zusammengerollten Mantel über die Schulter und blinzelte in die Kerzenflammen. Er ging, einen Weinkrug in der Hand, zur Tür und sagte: »Bis Mitternacht, Ritterlein!«
Die schwere Bohlentür schloss sich leise hinter ihm.
Später, nachdem sich Rutgar lächelnd hatte verführen lassen, saßen sie im Mondlicht auf dem Rand des Brunnentrogs. Chersala hatte ihre Hände bis halb zu den Ellbogen ins Brunnenwasser gesenkt, ihre unruhigen Finger riefen kleine Wirbel hervor. Die Härchen ihrer Oberarme hatten sich aufgerichtet, die Adern am Hals pochten in der Erinnerung an die leidenschaftliche Umarmung. Ihr Blick forschte zwischen den Schatten in Rutgars Gesicht, als sie leise fragte: »Werden wir uns wiedersehen, Grünauge? Wenn alles vorbei ist?«
»Wenn das Schicksal, das uns Gott zugedacht hat, gnädig ist«, entgegnete Rutgar zögernd. »Eine Frage, die niemand beantworten kann. Vielleicht. Warte nicht auf mich. Ich kann schon morgen Abend tot sein.«
»Ich weiß.« Sie hob die Hände aus dem Brunnentrog und kühlte ihr Gesicht. »Nichts ist ungewisser in der Zeit der Kriege als die Liebe.«
»Und nichts anderes muss mehr Gefahren fürchten.«
Chersala legte die Arme um seinen Nacken und versenkte ihre Blicke in seine Augen. Sie hatten darüber geredet, was er morgen und in den nächsten Tagen tun musste. Nur wenn es fehlschlug und er den Türken entkam, würde sie ihn wiedersehen.
»Gib auf dich acht, Rutgar aus Les-Baux«, flüsterte sie. »Mit dir kämpfend und betend bis nach Jerusalem zu ziehen, dazu bin ich nicht geschaffen.«
»Das haben wir oft besprochen. Halte dich fern von den Pilgern, wenn das Große Heer durchzieht. Du hast erlebt, welches Übel sie mit sich bringen.«
»Sie haben Übles gebracht, aber auch du bist mit ihnen gekommen.« Sie löste sich von ihm, stand auf und warf ihr Haar in den Nacken. »Geh zu ihnen zurück und lass dich nicht von ihren
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