Jerusalem
rötlichen Morgendämmerung. Die Mauern der Ruine, mit aufgeregten Menschen angefüllt, tauchten aus den nächtlichen Schatten auf. Fragen prasselten auf Rutgar nieder, wenn ihn die Pilger erkannten.
»Nehmt eure Habseligkeiten«, wiederholte er immer wieder, »und geht zu den Schiffen. Sie lassen niemanden zurück.«
»Werden uns die Türken nichts mehr tun können?«
»Ich glaube nicht, dass sie angreifen«, antwortete er, während das Durcheinander um ihn herum zunahm. »Seht ihr nicht, wie viele Waräger uns der Kaiser geschickt hat?«
Berenger stand auf einem Quader der halb versunkenen Kaimauer und rief einigen besonnenen Männern Befehle zu. Sie sammelten Pilger um sich und führten sie zu den Schiffen. Dort halfen ihnen Seeleute über die schrägen Planken an Deck. Inzwischen hatten alle Soldaten, auch drüben in Helenopolis, die Schiffe verlassen und drangen entlang der Mauern in die Landschaft aus Felsen und Gestrüpp vor. Die ersten waagrechten Sonnenstrahlen erreichten den Turm und die bröckelnden Zinnen und ließen die Rüstungen und Waffen der Söldner aufblitzen.
Rutgar sah zu, wie die Überlebenden von Civetot in langen Reihen die Burgruine verließen und gehorsam hinter den Anführern zu den Schiffen stolperten. Sie drängten sich der Rettung entgegen wie eine Herde; noch immer waren sie die Schäfchen des Eremiten Peter.
»Es wird Zeit, Jean-Rutgar«, sagte Rutgar leise zu sich selbst und ging zurück durch die dachlosen Säle bis zu dem Winkel, in dem er seine Waffen und die Sattelsäcke zurückgelassen hatte. Auf dem Weg dorthin entschied er sich, zu seinem Ausguck hinaufzuklettern. In der Nische des Turms, auf der steinernen Brustwehr, standen fünf Waräger und starrten hinunter auf den Strand und ins Gestrüpp.
»Ich bin Berengers Freund«, sagte Rutgar. »Und der Beschützer von Kukupetros. Was seht ihr dort unten?«
Einer der Söldner zeigte mit der Hand im eisengeschuppten Handschuh auf das Gewirr vor den Mauern. »Viele Seldschuken, Ritter. Sie sammeln sich und reiten fort. Deine Pilger und die Grafen müssen sich nicht verteidigen.«
»Es wäre eine kurze Belagerung gewesen«, gab Rutgar erleichtert zu. »Die Pilger können nicht kämpfen, und die Ritter sind mehr tot als lebendig. Gott ist gnädig.«
Der andere lachte. »Und wir waren rechtzeitig zur Stelle. Bist du der Mann, der die Fischer nach Konstantinopel geschickt hat?«
»Ja. Ich hab ihnen meine letzten Münzen dafür gegeben.«
»Lass sie dir von Kukupetros zurückgeben!«, rief ein anderer Waräger. »Er trinkt guten Wein in der Stadt und wartet auf das Wunder von hunderttausend gepanzerten Rittern.«
Unter ihnen leerte sich die Burg. Die lärmende Aufregung griff jetzt auf den Schiffen um sich. Im Buschwerk und zwischen den Felsen, zur Straße nach Nikaia hin, erkannte Rutgar im zunehmenden Sonnenlicht einzelne Reiter, kleine und große Gruppen, die von ihren Lagerplätzen auf die Straße hinausritten und davontrabten. Gleichzeitig näherten sich von den Flanken der Uferburg die Söldner des Kaisers mit funkelnden Lanzenspitzen und Helmen. Je weiter sie vordrangen, desto mehr Seldschuken verließen lärmend das Gebiet vor der Burg.
»Keine Belagerung«, sagte Rutgar erleichtert. »Kein Kampf. Nicht noch mehr Tote.«
Er nickte den Söldnern zu und kletterte hinunter. Er holte seinen Rappen, zäumte und sattelte ihn, suchte seine Ausrüstung, schnürte und rollte sie zusammen und band Schild und Helm an den Sattelknauf. Zwischen erloschenen Feuern und Abfall, Lumpen und blutigen Binden führte er den Schwarzen aus der Burg hinaus und blieb auf dem Strand stehen. Die Schiffe waren kaum mehr als zweihundert Schritte entfernt. Berenger war weder im Heck einer der Galeeren noch am Strand zu sehen.
Ruhig betrachtete Rutgar das Bild, das sich ihm bot. Noch immer warteten Pilger am Rand des Strandes, vor den auslaufenden Wellen. Vier Männer trugen einen Ritter auf der Laufplanke ins Schiff. Einige Waräger kamen von Helenopolis her; zwei Reiter trabten heran. Geschrei und Seemannsflüche hallten von den Schiffsdecks. In wenigen Stunden, vielleicht am Abend, würde er zusammen mit den Pilgern irgendwo bei Konstantinopel an Land reiten.
»Ritterlein! Träumst du noch?«
Rutgar drehte sich um. Berenger, im Kettenhemd, ohne Helm, eine Lanze in der Rechten, trabte auf ihn zu. Zwei Dutzend Waräger folgten ihm mit langen Schritten; schweigend, mit verschlossenen Gesichtern und selbst jetzt noch von beeindruckender
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