Jerusalem
mächtigen Heere hier durchziehen. Und alle anderen auch. Hört alle zu. Mehr als ich erzähle, weiß auch der Basileus nicht.« Er wärmte seine Finger am Tonbecher, aus dem heißer Sud dampfte. Zwei Dutzend Dorfbewohner hatten sich versammelt und hörten ihm zu. In der Esse verbrannten schenkeldicke Holzkloben in halb armlangen Flammen. »Oder nur ein wenig mehr. Also: Fünf Heere sind auf dem Marsch hierher! Fünf! Nicht weniger.«
Briefe, Späher, Nachrichten von König Koloman von Ungarn, Gerüchte und Königsboten aus den Küstenstädten - was der Hof von Konstantinopel wusste, hatte Berenger berichtet, kam aus vielen verschiedenen Quellen. Und nicht für jede Nachricht konnte er die Hand ins Feuer legen. »Da ist zuerst Ritter Gottfried oder Godefroi von Bouillon, ein hochgewachsener Mann heller Hautfarbe, mit flachsgelbem Bart und gleichfarbenem Haar, der Herzog Niederlothringens, geboren als dritter Sohn des Grafen Eustachius II. von Boulogne, und Ida, Tochter des Herzogs Gottfried II., genannt ›der Bärtige‹, und ob treuer Dienste vom französischen König mit den Grafschaften Antwerpen und Verdun belehnt - dir, Rutgar, sagen die Namen mehr als mir und dem Basileus. Er nimmt zusammen mit seinen Brüdern Eustachius und Balduin am Zug teil. Eustachius, sagt man, ist träge und kampfunlustig, und Gottfried selbst, obwohl erst sechsunddreißig Jahre jung, ist nur ein selten siegreicher Ritter. Balduin, mehrfach studierter Ehrgeizling, ist von anderer Statur; groß, mit schneeweißer Haut und schwarzem Haarwuchs. Er besitzt nichts und will irgendwo auf dem Weg nach Jerusalem ein eigenes Reich erobern.«
Die Dörfler schwiegen und merkten sich das Gesagte. Berengers strahlende Blicke glitten von einem Gesicht zum anderen und hefteten sich zuletzt auf Rutgar.
»Balduin nimmt seine Frau Godehilde von Tosni, eine Normannin, und seine Kinder mit. Auch Bruder Gottfried hat verkündet, dass er im Geist seine Heimat verlassen hat und niemals zurückkehren wird, also gab er seine Besitztümer auf und rüstet für eine Reise, die mit dem Vorhaben des Papstes wenig oder nichts zu tun hat.«
Berenger zog aus seinem Fellwams ein mehrfach geknicktes Röllchen Pergament, klappte und rollte es auseinander und las einen Augenblick lang darin. »Eigentlich wollten die drei Brüder Mitte des Ostermonds aufbrechen, aber wegen Geldschwierigkeiten hat's bis Mitte des Erntemonds gedauert, also bis Mariä Himmelfahrt. Selbst jüdische Gemeinden stifteten Gelder. Gottfried verkaufte Rosay und Stenay, Maas-Städte, an einen Richter von Verdun. Viertausend Pfund Silber und ein Pfund Gold bekam er vom Bischof zu Lüttich als Pfand für sein Schloss Bouillon. Mehr als zwei Dutzend Ritter aus Lothringen und Wallonien begleiten ihn, dazu Eremitenmönche der Abtei Orval. Sie ritten im Erntemond los, auf demselben Weg wie der Zug des Peter von Amiens. Nach einem kleinen Krieg um die Stadt Selymbria - ich war noch nie dort - hat Gottfried unserem Basileus ein feines Geschenk gemacht: einen Tag vor dem fränkischen Christfest kam sein Heerhaufen vor den Mauern von Konstantinopel zum Stehen.«
Die Dorfbewohner konnten mit dem fremden Begriff nichts anfangen. Rutgar wusste, dass die Gläubigen der von Rom abgespaltenen »alten« Kirche das Weihnachtsfest am 6. Tag des Hartung feierten; ihr Jahr begann am 1. Tag des Herbstmonds. Er hörte Berenger sagen:
»Mit wenig frohen Gefühlen hat der Basileus die Ritter und den Tross erwartet und gehofft, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen möge. Aber sie lagern noch immer dort, auf dem Land zwischen zwei Kirchen, wie es sich's gebührt, und werden aus dem kaiserlichen Vermögen gespeist und gefüttert.«
Rutgar schwieg weiterhin. Berenger wartete, bis Chersala die Becher wieder mit heißem Sud gefüllt hatte, dann warf er einen Blick auf seinen Pergamentfetzen und fuhr fort:
»Der Heerwurm Nummer zwei: Der Bruder deines französischen Königs Philipp, Hugo Le Maisné, schon vierundfünfzig Jahre alt, genannt ›der Große‹, Graf von Vermandois dank seiner reichen Heirat, von glänzender Abkunft und ehrenhaftem Betragen, schrieb an den Basileus einen Brief herausfordernden Inhalts; er möge mit Ehrerbietung empfangen werden. Ende des Erntemonds ritt er nach Italien, sogar nach Rom, zum Papst, denn der Hafen von Bari war sein Ziel. Unterwegs hat sich ihm der Abschaum angeschlossen, dessen Namen wir von Graf Emichos Untaten kennen: Graf Wilhelm von Melun, der ›Zimmermann‹, Drogo von Nesle
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