Jerusalem
den Dörfern, die regelmäßig von Steuereintreibern heimgesucht wurden. Verwüstete Dörfer, tote Bauern - keine Steuern. Hauptmann Roger hat eine Aufgabe für dich, Ritterlein.«
»Eine Aufgabe, hm«, stellte Rutgar fest und hob die Beutel an. Sie waren unerwartet schwer. »Was soll ich tun?«
»Sattle dein Streitross, Rutgar, wenn im Frühling die Wege wieder gut sind. Chersala oder jemand, der die Wege und die Dörfer kennt, soll mit dir reiten. Warne die Dörfler vor fünf Ritterheeren, vor vielleicht hunderttausend Pilgern, die meisten davon in Waffen. Die Dörfer sollen Späher aufstellen und in die Wälder flüchten, in Höhlen oder Schluchten, mitsamt dem Vieh und so vielen Vorräten wie möglich, Saatgut und allem.«
»Das kann ich verstehen«, sagte Chersala leise und begann einen Beutel aufzuschnüren. »Und das viele Gold? Für uns? Glaube ich nicht.«
Berenger schüttelte den Kopf. »Für die Priester und Dorfvorsteher und, natürlich, auch für euch. Das meiste sind Trachis, Münzen aus Silberlegierung, denn kaum jemand kann eine Goldmünze wechseln. Gold macht neidisch. Verteilt es, wie es euch nützlich erscheint.«
»Wann wird der Basileus die Heere übersetzen lassen?«, erkundigte sich Rutgar. Berenger zog die Schultern hoch und versuchte eine Erklärung.
»Also: Kaiser Alexios kennt die Absichten der Franken. Sie wollen Besitz und Länder, Grafschaften und Fürstentümer im Osten ihrer Welt erobern. Es würde ihm helfen, denn die meisten Ländereien würden sie von den Türken zurückerobern, die sie dem Kaiser geraubt haben. Aber er will auch über diese Länder herrschen. Also will er, dass die Anführer ihm den Treueid leisten. Hugo von Vermandois, von der Großzügigkeit des Basileus überwältigt, hat schon eingewilligt. Gottfried von Bouillon hat den Lehenseid bisher verweigert. Im Palast rechnet man mit viel Streit und noch mehr Misshelligkeiten - fünf Heerführer oder einige mehr, dem Papst verpflichtet oder auf andere Art abhängig, ehrgeizig und machtbesessen. Das wird ein hartes Stück Arbeit. Und sie werden sich auch nicht an die Vorgabe halten, niemals länger als drei Tage an einer Stelle zu rasten.«
»Der Basileus fürchtet also, dass sein Reich dort, wo sie durchziehen, zur Wüste gemacht wird.« Rutgar begann Asche zusammenzuschieben und die Glut freizulegen. »Wir haben es erlebt. Wo Ritter und Pilger hausen, da wächst lange nichts mehr.«
»Manuel Butumites, ein romanischer Heerführer, begleitet mit Karren, schweren Pferden und Belagerungsmaschinen den Zug. Es ist noch nicht sicher, Ritterlein, aber ich und ein paar von uns sollen mit den Kriegshandwerkern reiten und sie schützen.«
Rutgar hob den Kopf und starrte verblüfft in Berengers Gesicht. »Sie begleiten also. Nach Nikaia, vermute ich?«
»Nein«, antwortete Berenger. »Bis nach Antiochia. Aber sag's den anderen nicht.«
Jemand klopfte an der Tür, sie knarrte auf, und Vater Gautmar trat ein, legte ein frisches Brot, Rotwildbraten, Käse und Butter auf den Tisch und entledigte sich seines schneebedeckten Umhangs.
»Hab mich selbst eingeladen, Ritter Berenger. Wir haben noch vieles zu bereden, und ich hab viel zu begrübeln«, sagte er und setzte sich. Zwei der dicken neuen Kerzen brannten mit zitternden Flammen. »Aber mit leerem Bauch ist schlecht grübeln.«
Sie setzten sich auf die Bank und auf die Felle der knarrenden Scherensessel, die Rutgar gezimmert hatte, an den weißgescheuerten Tisch. Berengers Wein hatte sich mittlerweile erwärmt; Chersala mischte ihn mit süßem Aufguss vom gestrigen Tag und nahm die wertvollen glasierten Tonbecher vom Wandbrett.
»Wahr gesprochen«, antwortete Berenger. »Ihr habt von den furchtbaren fränkischen Schlächtern Stunde um Stunde schaurige Berichte gehört. Trotzdem beherbergt Drakon einen fremden Ritter, der es dazu auch noch mit deiner Tochter hat. Gevatter Schmied - wie passt das zusammen?«
»Dies ist, Herr Ritter, eine lange Geschichte«, entgegnete Gautmar und zog ein doppelt handlanges Messer aus dem Stiefelschaft. Er begann das Brot in Scheiben zu schneiden und rammte das Messer in die Platte. Er wies mit dem Kinn auf Chersala.
»Mein Weib, ihre Mutter, ist vor Jahren gestorben. So kam es, dass sie sich, mit meiner Hilfe, selbst erzogen hat; ihre Schwester war nicht so halsstarrig. Hätt ich sie schlagen sollen, nur weil sie mir ihren Lebensretter hergebracht hat? Grüne Augen, das haben nur fremde Teufel, aber er ist ein guter
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