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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Mann.«
    »Aberglaube, Vater!«, sagte Rutgar. »Ich bin grünäugig, gläubig und harmlos.«
    »Ich rede. Iss! So, wie ich es einem Pferd ansehe, ob's mich beim Beschlagen umbringen will, hab ich gesehen, dass sie ihn will, dass er stillhält, und welche Schmiedtochter kann schon schreiben und lesen? Und dass er sie glücklich macht, sieht jedermann.«
    »Ihr Dörfler rührt mich zu Tränen«, sagte Berenger kopfschüttelnd und stieß Rutgar den Ellbogen in die Rippen. »Und die andere Tochter kriegt deinen Halbbruder Thybold, Ritterlein?«
    »Davon weiß ich noch gar nichts«, murmelte Gautmar grinsend und begann den Braten zu schneiden, der von braunen Speckstreifen starrte.
    »Von Thybold erzähl ich dir«, sagte Rutgar, »wenn die liebenswerten Ritter aus der Provençe vorbeireiten.«
    Sie saßen, redeten und tranken bis spät in die Nacht und diskutierten ausführlich die Einzelheiten dessen, was Berenger den Dorfbewohnern berichtet hatte. Arm in Arm stapften Berenger und Gautmar durch dichtes Schneetreiben zur Schmiede. Rutgar befestigte das dicke Fell über der Tür und legte einen Holzkloben in die Glut.
    Chersala leckte ihre Fingerkuppen nass und löschte die Kerzenflammen. Sie setzte sich aufs Bett und knotete die Riemen der Fußfelle auf. Rotes Halbdunkel füllte den Raum unter den Dachbohlen, als Rutgar die Reste des Essens in die Truhe räumte.
    »Er bleibt noch ein paar Tage bei uns«, sagte er leise und setzte sich neben Chersala. »Und er sorgt sich um uns. Mich und dich, glaube ich, hat er ins Herz geschlossen.«
    »Besonders dich, mein Ritterlein. Im Frühling - wir reiten zusammen, nicht wahr? Ich kenne fast alle Dörfer in der Umgegend.« Sie flocht das Haar zu einem dicken Zopf und knotete ein Lederbändchen um dessen Ende. Dann öffnete sie die Schnüre des Leinenhemdes und legte den Kopf in den Nacken, sodass sich die Brüste hoben. Sie schob die Hand unter die Kette, bis sie vor ihrem Kinn hing und flüsterte: »Deine Kette werde ich immer tragen. Immer. Bis ich ...«
    Sie starrte erschreckt auf die dicken Kettenglieder. Das Gold färbte sich blutrot wie alles andere im Raum.
    »Immer trag ich sie.« Sie atmete tief ein und aus. »Vater wird mich gehen lassen. Oder willst du es nicht?«
    »Würden die Bewohner der anderen Dörfer mehr Vertrauen zu Gautmar oder Faroard haben oder zum Priester?« Er streifte die Kleidung ab und zog das dünne Wollhemd über den Kopf. »Oder glauben sie auch einer jungen Frau? Vielleicht. Lass uns bis morgen warten, wenn Berenger uns mehr über die Ritter des Kreuzes erzählt hat.«
    Sie streckte den Arm aus und zog ihn an ihre Seite. Als sich Rutgar ausstreckte und Chersalas Körper fühlte, fragte er sich, ob er nun das Leben führte, so wie er es sich immer gewünscht hatte.
    Seltsamerweise zögerte er, laut »Ja!« zu rufen.
 
    »Ihr wisst vielleicht, dass die besten und treuesten Krieger, die den Basileus schützen und jedem seiner Befehle bedingungslos gehorchen, normannische Waräger sind. Ich bin auch ein Normanne, aber schon seit meiner Jugend nicht mehr in der Heimat, sondern im Dienst des Kaisers.« So begann am nächsten Mittag Berenger vor zwei Dutzend Zuhörern seinen zweiten Bericht. »Auch Bohemund von Tarent, einer der Söhne des Robert Guiscard in Süditalien, ein vierzig Jahre alter Hüne, ist ein störrischer Normanne. Er ließ sich von französischen Rittern bei der Belagerung von Amalfi vom Ruf nach Jerusalem anstecken, zerriss seinen Purpurmantel zu Kreuzesstreifen und schrie mit ihnen »Deus lo vult!«, bevor er sich voll Machtgier und Unrast samt seinem Neffen Tancred und einem kleinen Heer über das Meer aufmachte, nach Durazzo, das schon einmal von Normannen erobert worden war. Dort sammelte sich das Heer am ersten Tag des Windmonds und ist durch Eis und Schnee nun auf dem Weg nach Konstantinopel.«
    Als Berenger nach einer Pause fortfuhr, brauchte er nicht auf sein Geschriebenes zu sehen. Sein Gesicht zeigte Ärger und eine Spur von Überdruss.
    »Erst im Weinmond hat, wie ich euch schon erzählte, Graf Raimund IV. von Toulouse, Graf von Saint-Gilles, sich auf den Weg machen können, um über Mailand und Aquileia den Weg am Ostufer des Adriatischen Meeres entlang zu nehmen.
    Robert II., Graf von Flandern, vier Jahrzehnte alt, mit viertausend Mann Fußvolk und sechshundert Reitern, und Herzog Robert von der Normandie, der sich ihm anschloss, ein paar Jahre jünger, mit einem etwas kleineren Heer, überquerten das Alpengebirge weiter

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