Jerusalem
Niedertracht folgen.«
Ihm schien, als würden manche weltliche Herren seine Worte abschütteln wie Regentropfen. Keiner war beeindruckt, niemand empörte sich, keiner sog aus den Predigerworten Hass auf die Muslime. Sie alle ergötzten sich auf kindliche Weise an der Feierlichkeit der Messe, am Prunk und Glanz, den die Kirche und die darin versammelten Geistlichen und Würdenträger verströmten, und am Ruch der Heiligkeit, der mit den Weihrauchwolken gen Himmel stieg.
»Zum glorreichen Ende des Konzils von Clermont«, hub d'Arbrissel mit hallender Stimme an, um undeutlichen, fernen Lärm von außerhalb des Gotteshauses zu übertönen, »da zerschnitten die Ritter ihre roten Mäntel und machten Kreuze aus den Streifen. Ritter des Kreuzes Jesu! Kreuzritter! Ja, zu Kreuzrittern wurden sie und schwuren, das Heilige Grab aus dem Elend der muslimischen Herrschaft zu befreien! Und ich sage Euch: Auf jeden Ritter, jeden Knappen, jeden Fürsten kommen hundert oder zweihundert einfache Menschen, die dem Ruf Seiner Heiligkeit des Papstes folgen!
Die einen reiten im Prunk einher und dennoch nicht zufrieden mit dem, was die Welt ihnen bieten kann, und von brennendem Glauben erfüllt. Und die anderen, die vielen, die wenig oder nichts zu verlieren und alles zu gewinnen haben, gehen barfuß, in Sandalen oder mit lumpenumwickelten Füßen. Das Kreuz, das sie tragen, löscht den Unterschied aus zwischen Herrn und Knecht, zwischen Graf, Tagelöhner, Hufschmied und Bauer. Nehmt Euch ein Beispiel an ihnen, und ...«
Lauter Tumult, wildes Geschrei und das Hämmern am Kirchenportal unterbrachen ihn. Knarrend öffneten sich die Torflügel und krachten gegen die steinernen Halterungen. D'Abrissels Augen weiteten sich, als er den Haufen erkannte, der in die Kirche drängte. Einige Eindringlinge packten Kerzen und Leuchter und hielten sie in die Höhe.
Die Blicke aller Teilnehmer am Gottesdienst wandten sich vom Prediger ab und den Eindringlingen zu, aus deren Kleidung Regenwasser troff. An ihrer Spitze, ein großes Kreuz aus hellem Holz und einen dreiarmigen Leuchter in die Höhe reckend, barfuß und mit verwildertem langem Bart, kam ein barfüßiger Mönch durch den Mittelgang. Ihm folgte, stoßend und hinkend, humpelnd und schwankend, ein gewaltiger Haufe von Bettlern, Marktweibern, schäbigen Bauern und Handwerkern, einäugigen Galgenvögeln und schwärenbedeckten Verstümmelten; ein Lumpenpack und grelles Hurengesindel, dicke Mägde, hagere Pilz- und Zapfensammlerinnen, schmutzige Kinder und Halbwüchsige, Kranke und Arme, verwahrloste Beutelschneider oder bunt gekleidete Spielleute.
Kaum einer trug saubere Kleidung; ein Regenguss, der vor kurzem auf Dächer, Felder und entblätterte Bäume herabgeprasselt war, hatte die abgerissene Schar bis auf die Haut durchnässt. Feuchte Kälte drang in die Kirche ein, zugleich breitete sich ein pestilenzartiger Gestank aus, der sich mit erkalteten Weihrauchnebeln mischte und von Windstößen verwirbelt und in einem mächtigen Schwall aus dem sperrangelweit offenen Portal hinausgesogen wurde.
»Peter d'Amiens!«, ächzte Robert d'Abrissel. »Peter der Eremit! Gott schütze uns!«
Der bärtige Mönch kam näher, stellte den Leuchter auf eine Kirchenbank und hob das Kreuz. Die Würdenträger und die Gläubigen starrten ihn an wie einen Sendboten der Hölle. Er war hässlich und verwahrlost, seine Augen lagen in schwarzen Höhlen, seine Kutte und die Gurgel starrten vor Schmutz und waren von Wein getränkt, der auf seine nackten Schienbeine und Füße tropfte.
Tumult kam auf. Der Erzabt erhob sich, breitete die Arme aus und rief: »Still, im Namen des Herrn! Was wollt ihr?«
Die Menge, die Peter von Amiens folgte, ließ zwischen ihm und der ersten Reihe der jämmerlichen Gestalten ein Dutzend Schritte freien Raum; sie hielt ängstlichen Abstand zu ihrem Anführer, der vor innerer Spannung zu zittern schien. Er hob das Kreuz, starrte den Altar und die statuenhaften Priester an und schrie:
»Deus lo vult! Gott will es!«
Er drehte sich zu seiner Gefolgschaft und zu der Menge im Kirchenschiff um. Der Wind zerrte an allen Kerzenflammen und ließ sie flackern. Keuchend und stöhnend warf sich Peters skrupulöse Gefolgschaft zu Boden; die Eindringlinge breiteten die Arme aus und antworteten im schauerlichen Chorus:
»Deus lo vult ... Deus lo vult ... Deus lo vult!«
Eine Litanei ohne Ende begann. Einige aus der großen Kirchengemeinde folgten dem Beispiel. Peter hielt der Festversammlung das
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