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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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also auch. Was wirst du tun? Ihm folgen?«
    »Ich weiß es nicht, Vater Gautmar«, sagte Rutgar bekümmert. »Ich weiß es wirklich nicht.«
 
    Die Holzpflöcke, an denen das Kettenhemd, der Helm, der Schild und die Waffen Rutgars hingen, hatte er selbst geschnitzt und in die Wand geschlagen. Jeden Tag sah er seine Ausrüstung schweigend an und dachte an Chersala und Kukupetros; an das ruhige Leben, das er in Drakon genoss, als eine unter dreihundert Seelen in einer friedlichen, fast weltentrückten Umgebung; an seinen Traum, reich und mächtig nach Les-Baux zurückzukehren; an den Weg nach Jerusalem; an die Schwierigkeiten der unermesslichen Entfernungen in Ländern, die ihm von Woche zu Woche fremder werden würden; an Durst, Hunger und zahllose Kämpfe. Er würde sich entscheiden müssen, aber er verschob diesen Augenblick von einem Tag zum nächsten. In den Nächten, in denen er nicht schlafen konnte, sagte er sich, dass er nichts anderes tat, als auf ein Wunder zu warten.
    Der Herr wirkte kein Wunder, aber es schien, als habe er einen Boten geschickt.
    Am 23. Tag des Weidemonds ritt Berenger, erschöpfter noch als sein schwitzender, staubbedeckter Rappe, zur Mittagsstunde in Drakon ein. Er rutschte neben dem Brunnen aus dem Sattel, tauchte Kopf und Schultern ins Wasser und trank wie ein Verdurstender. Dann erst löste er den Zaum vom Kopf des Rappen und drehte sich triefend herum.
    »Gautmar! Rutgar! Wo seid ihr alle?«, rief er krächzend, hustete und stolperte auf das Haus zu. Rutgar erkannte die Stimme, sprang vom Mittagstisch auf, war mit einigen Schritten an der Tür, stieß sie auf und rief:
    »Bist du verwundet, Berenger? Oder zu schnell geritten? Brauchst du ...?«
    »Pflege und Schlaf und ein Bad und - ach, nur Ruhe. Einen Happen zu essen. Und Futter für mein tapferes Pferd.«
    Er taumelte vor Müdigkeit. Gautmar drängte sich an Rutgar und Berenger vorbei, der sich an Rutgar festhielt und zur Bank stolperte.
    »Ich sorge für dein Tier«, sagte der Schmied. »Gib ihm zu essen, Rutgar. Hilf ihm, Chersala.«
    Berenger setzte sich schwer auf einen Schemel, zerrte die Handschuhe von den Fingern und packte die Schale, die ihm Chersala hinschob, mit beiden Händen. Er trank die kuhwarme Milch in langen Schlucken, holte tief Luft und wischte den weißen Schaum aus dem Bart.
    »Habt Dank«, sagte er leise. »Ich komme vom Basileus, aus Pelekanon. Großes Durcheinander, sage ich. Gottfried von Bouillon, dein Kukupetros und Bohemunds Heer, das Tancred anführt, stehen mit Raimund von Toulouse und Adhemar von Le Puy vor Nikaia. Vor zwei Tagen gab es die erste Schlacht zwischen dem Sultan und den Rittern vor den Mauern.«
    »Und - ist Nikaia gefallen?«, fragte Chersala. Berenger kaute auf einer Scheibe Braten, schüttelte den Kopf und sagte undeutlich:
    »Nein. Die Mauern sind schier unbezwinglich. Über den See bringen die Türken Nachschub in die Stadt. Es ist dem Basileus gelungen, mit Wagenladungen kostbarer Geschenke und listiger Redekunst, letztlich alle Heerführer zu einem Vasalleneid zu überreden. Also wird ihm gehören, was sie erkämpft haben, wenigstens für eine Zeit lang.«
    Während Berenger aß und trank, berichtete er von abenteuerlichen Zwischenfällen, ausgedehnten Raubzügen, Unglücken und Kämpfen der verschiedenen Ritterheere, von Gottfrieds Angriff auf Konstantinopel, vom Streit zwischen den Rittern und den Petschenegen, die eigentlich die Ritterheere führen und schützen sollten, und davon, dass in fast allen Heeren Dutzende Ritter, als »Feiglinge« und »Abtrünnige des Wahren Glaubens« gebrandmarkt, mitsamt ihrem Tross enttäuscht wieder den Heimritt angetreten hatten, und von vielen hasserfüllten Angriffen der Bevölkerung, durch deren Länder sich die Züge gequält hatten. Bellum omnium contra omnes. Krieg aller gegen alle.
    »Hast du meinen Bruder Thybold getroffen? Oder etwas von ihm gehört?«, fragte Rutgar hoffnungsvoll. Berenger zuckte mit den Schultern und machte ein ratloses Gesicht. »Unter so vielen Männer in Rüstung und Waffen? Ich hab in Raimunds Heer gefragt. Es sind Grafen von Orange, Béarn, Montpellier, Monteil darunter. Von einem aus Les-Baux weiß niemand. Aber ... ein paar Knechte aus dem Tross des Bischofs von Le Puy haben einen falkennasigen, jungen und ärmlichen Reiter gesehen, der solche Augen wie ich hat und so spricht wie du. Mehr hab ich nicht herausfinden können.«
    »Es klingt, als könnte es Thybold sein«, murmelte Rutgar und schloss die

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