Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
Vom Netzwerk:
eiserner Waffen ritten die Gewappneten ins Sonnenlicht hinaus und nach Süden. In der Ordnung dieser Legionen war etwas Grimmiges, eine drohend-anmaßende Selbstherrlichkeit, die zugleich etwas seltsam Mechanisches hatte.
    Hochbordige, zweirädrige Karren folgten, von mächtigen Pferden gezogen, wie sie aus dem Donauland nördlich Ungarns kamen. Teile von Belagerungsmaschinen und Bündel dicken Tauwerks lagen auf den Karren, neben Fässern und Säcken und Ballen. Zwischen den Karren, deren Felgen ein schauerliches Knirschen und Mahlen erzeugten, ritten Waräger und schritten kräftig aussehende Männer. Dies also waren die Truppen des Basileus, die den christlichen Rittern halfen. Wieder folgten hundert, zweihundert Ritter und Kriegsknechte, deren Lanzen sich reckten wie die wippenden Rückenstacheln eines Igels.
    Dann kamen Pilger, Mönche, Kuttenträger und Frauen und Männer, Halbwüchsige, Kinder, zu Fuß, Milchziegen und Schafe, und Priester, die Kreuze trugen und, als sie aus dem Dunkel des Passwaldes hervorkamen, zu singen und laut zu beten begannen. Dies alles, sagte sich Rutgar schaudernd, war zu gewaltig für ihn. Abermals folgten einige Hundert Ritter und Knappen hinter mehreren Fahnen und Bannern; schließlich lachte Rutgar leise.
    »Kukupetros!«, murmelte er überrascht.
    Peter der Eremit auf seinem Esel, den überlebenden Pilgern seiner Reise nach Jerusalem vorausreitend; ein Bild, dessen Anblick Rutgar schmerzte und zugleich mit einem Quäntchen Bedauern erfüllte. Eigentlich wäre sein Platz dort unten gewesen, neben oder schräg hinter Kukupetros, als dessen Betreuer und Chronist.
    Die Sonne stieg, die Stunden verstrichen, die Tageshitze nahm zu und brachte den Geruch von vielen Tausend Menschen und Tieren bis hinauf zu Rutgars Felsenversteck. Das Heer zog waffenklirrend, polternd, betend, knarrend vorbei, und noch immer kamen neue Reiter, Pilger, Waffenträger, Ritter und Karren aus der Schlucht, Schritt um Schritt, Fuß um Fuß, Pferd um Pferd und ein hoch bepackter Esel nach dem anderen. Also hatte sich Peters fromme Pilgerschar mit Gottfrieds Heer vereinigt, und nun kamen, unverkennbar, die Normannen mit ihren langen Bogen und den spitzen Dreieckschilden. Bohemund und Tancred also! Ritt vielleicht auch sein Halbbruder Thybold dort inmitten der Menge?
    Und abermals Wagen voller Heu, Fässern, Balken, Leitern, und Fahnen, Lanzen, noch mehr Reiter, Pilger, und nicht einer von den unzählbar vielen, von schwerlich weniger als zehntausend Seelen, schien zu hungern, sich zu fürchten oder Anstalten zu treffen, aus der kriechenden, rasselnden und hufklappernden Schlange auszubrechen, um zu plündern. Die Schlucht und die Straße waren feucht von den letzten Regengüssen; nicht einmal Staub wallte auf wie vor einem halben Jahr. Einige Nachzügler folgten. Eine Gruppe leicht bewaffneter Reiter im Galopp. Wieder hundert Pilger, die Verwundete oder Kranke auf drei Gespannen mit sich führten. Und jeder Einzelne, Kind, Mann oder Frau, war stundenlang an bleichenden Totenschädeln, auseinandergerissenen Gerippen, Brustkörben und Gebein vorbeigeritten, vorbeigeschritten, vorbeigefahren ... Rutgar schüttelte sich.
    Die Schatten waren länger geworden, und der Nachklang des Gesangs und das Peitschenknallen hatten sich längst mit den Lauten des Waldes und dem Gellen der Felsensegler vermischt, als Rutgar sein Versteck verließ. Mit langen Schritten eilte er durch die hereinbrechende Dämmerung nach Drakon. Er trank am Brunnen, wusch sich flüchtig und ließ sich auf die hölzernen Stufen neben Gautmars Esse nieder.
    »Was du gesehen hast«, sagte Gautmar abwartend, »hat dich nicht glücklich gemacht. Ich seh's dir an.«
    Rutgar berichtete vom schier endlosen Zug der Ritter und Pilger und schloss: »In ein, zwei Tagen, spätestens in dreien, steht das Heer vor den Mauern von Nikaia. Wenn ich mich nicht sehr täusche, fehlen noch die Heere von Raimund von Toulouse und von Robert aus der Normandie.«
    »Sie werden sicherlich auf dem gleichen Weg nach Nikaia, nach Süden, ziehen«, antwortete Gautmar und häufte Asche auf die Glut des Schmiedefeuers. »Unsere Hirten werden uns wieder warnen - glaubst du, dass für heute alle am Dorf vorbeigeritten sind?«
    Rutgar deutete in den dunklen Himmel und hob die Schwurfinger.
    »Dieser Kelch«, sagte er und sah sich nach Chersala um, »ist an uns vorübergegangen. Heute. Auch Kukupetros und seine Leute, die Civetot überlebt haben, sind mit dem Heer gezogen.«
    »Er

Weitere Kostenlose Bücher