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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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hellbraunen Lücke durchbrochen. Abendschatten verdunkelten die Waldränder und die Straße; es war, als sähe man durch die Augenöffnungen eines Helms. Dann rief der Waräger:
    »Dahinter geht's hinunter ins Tal! Zwei Stunden, dann sind wir im Lager!«
    Jeder Reiter und alle, die den Berittenen folgten, verhielten an dieser Stelle. Ein Bild, bedeutungsvoller und größer als jede Vorstellung, füllte das Talbecken. Die Sonne, zwei Handbreit über den westlichen Bergen, spiegelte sich ebenso wie die langgezogenen purpurschwarzen Wolken im Askanischen See und beleuchtete rötlich-golden einen Teil der Mauern. Dutzende Störche kreisten im Sonnenlicht über dem Wasser und dem Ufersumpf, durch den sich das Rinnsal des Seeauslaufs zum Meer wand. Zwischen den Tausenden Zelten um die Landmauern und hinter dem Schilf des Ufers, ebenso wie jenseits der Mauern und Türme stiegen dünne Rauchsäulen schräg in den Himmel, der sich vorabendlich gefärbt hatte. Einige Boote segelten langsam auf die Stadt zu.
    In einem lückenhaften Dreiviertelkreis waren von den Heeren Bohemunds, Tancreds, Gottfrieds, Raimunds von Toulouse und des Bischofs Adhemar von Le Puy die Zelte vor den Mauern aufgeschlagen worden; die Lagerplätze für Robert den Normannen und Stephan von Blois lagen im Südosten der Stadt, deren Umwallung ein unregelmäßiges Fünfeck bildete.
    Nikaia, das wuchtige Bollwerk auf dem Weg nach Antiochia, lag vor den Blicken der Streiter in Christo. Rutgar wäre nicht erstaunt gewesen, wenn sich aller Rauch zu einer leuchtenden, kreiselnden Säule vereinigt hätte und dieses Wunder den Heeren, wie es in den Schriften zu lesen war, auf dem Weg nach Antiochia vorausgezogen wäre; als schwarzer Rauch bei Tag und als leuchtende Wolke in der Nacht.

Kapitel XX
 
A.D. 1097, 6. BIS 18. T AG IM B RACHMOND (J UNI )
V OR N IKAIAS M AUERN
 
»Wir schickten nicht ein Heer vom Himmel oder sonst ein Zeichen der Bestrafung, wie früher, sondern es bedurfte nur eines einzigen Donnerwortes, und sie waren vernichtet.«
(Al-Qur'ān, 36. Sure [»Ya Sin«], Vers 29, 30)
 
    Ein Schilfgürtel endete zwischen einigen bemoosten Felsen auf der Seeseite der Stadt. Der Weg, den Zehntausende Füße, Räder und Hufe geschaffen hatten, bog nach Sonnenuntergang ab. Rutgar und Chersala lenkten ihre Pferde aus der Kolonne hinaus und warteten auf Berenger. Das Heer walzte dröhnend weiter, die altersdunklen Mauern ragten in achtungsvollem Abstand rechts von den Bewaffneten auf.
    Die drei kannten die Umgebung Nikaias: Selbst wenn die Stadt völlig umschlossen gewesen wäre, konnte sie über das Wasser durch das Seetor versorgt werden.
    Einige Reiter kamen den Ankömmlingen entgegen und winkten. Berenger zügelte sein Pferd und deutete nach links.
    »Da vorn sehe ich die Fahnen des Butumites. Sein Lager; dorthin, Ritterlein!«
    Rutgar kannte von Konstantinopel höhere Mauern, aber zum ersten Mal sah er die verwirrenden Merkmale einer Belagerung, die länger als fünfzehn Tage andauerte. Je mehr Einzelheiten er erkannte und, halb ungläubig, zu deuten vermochte, desto tiefer bohrten sich Verständnislosigkeit und Erschrecken in sein Herz. Als er und Chersala weiterritten, war es, als gefriere im Schatten der Mauern sein Schweiß. Hier drohte ihm, unausweichlich, das Verhängnis: Er würde kämpfen müssen.
    Hinter Wagen voll Wasserfässern standen Bogenschützen. Sie zogen die Sehnen ihrer riesigen normannischen Langbögen zum Kinn und zielten sorgfältig auf Krieger der seldschukischen Besatzung, die sich zwischen den Zinnen bewegten. Armbrustschützen spannten die Waffen und jagten surrende Bolzen zu den Zinnen hinauf. Fackeln brannten auf der Mauerkrone; am Rand der Zeltlager loderten rauchend die ersten Feuer. Ein Schrei auf der Mauerkante, ein Körper überschlug sich im Fallen und prallte schwer auf Sand und Kies. Die Schilde über den Köpfen und Schultern, rannten Kriegsknechte auf den sterbenden Verteidiger zu und zerrten ihn vom Fuß der Mauer weg. Außerhalb der Reichweite der seldschukischen Bogenschützen, zwischen Trümmern hölzerner Leitern und Gesteinsbrocken, ließen sie den Körper zu Boden fallen. Während einige Männer dem Sterbenden die Rüstung und die Kleider herunterrissen, hackten andere mit Beilen und Schwertern seinen blutüberströmten Kopf vom Rumpf.
    Zögernd, wie es schien, setzte Rutgars Rappe Huf vor Huf. Seine Ohren spielten und zuckten aufgeregt. Nikaias Mauern, vier Meilen lang, begannen mit der Dunkelheit zu

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