Jerusalem
glänzte, hing zwei Handbreit über den Hügeln. Durch das vage Dunkel folgten Rutgar und Chersala der blakenden Fackel an den Lagern Bohemunds und Tancreds und an den verlöschenden Lagerfeuern vorbei bis zu den Zelten des Generals Butumites.
Die Wurfmaschinen schleuderten in langen Abständen während aller Nachtstunden schwere Feldsteine, Krüge voll brennendem Öl und Felsbrocken über die Mauern und gegen die Brüstung des Gonates-Turms. Im Untergrund, in verwüsteten Gewölben und Fundamenten, wühlten, hämmerten und hackten die Belagerer im Licht von Talglichtern und Kerzen.
Tausend Körbe Schutt und Brocken waren hinausgeschafft und Holz in die Höhlung eingebracht worden, die in der Nacht wuchs und am späten Morgen ihre größte Ausdehnung erreicht hatte. Eine Stunde vor Mittag legten die Belagerer Feuer an die Holzstöße. Bald loderten Flammen aus dem Eingang, grauer und schwarzer Rauch quoll daraus hervor, und das wachsende Feuer sog pfeifend Luft durch Schächte und holzgezimmerte Zuführungen. Rauch drang durch Spalten und Fugen, auch auf der Stadtseite des Turms und aus den Mauern, die an das steinerne Viereck grenzten. Boten hasteten hin und her, und im Norden, Osten und Süden Nikaias bereiteten sich Ritter und Bewaffnete darauf vor, über die heißen Trümmer des Turms in die Stadt einzudringen; dies war kein Kampf für Ritter zu Pferde.
Auf jeden, der sich dem Umfeld des Turms näherte, schossen die Verteidiger wahre Pfeilhagel ab. Normannische Bogenschützen und Armbrustschützen versuchten die Seldschuken zwischen den Zinnen zu treffen. Ein Holzbalken, von einem Katapult geschleudert, traf die Mondsichel-Fahne und zersplitterte den Schaft an der Turmecke. Es dauerte nur zwei Dutzend Atemzüge, bis zwei neue Fahnen im Mittagswind flatterten. Ein Taubenschwarm kreiste über dem Turm und verschwand nach Norden.
Rutgar hatte Chersala und sein Pferd im Lager zurückgelassen und war zu Fuß aufgebrochen, im Kettenhemd, mit dem Schwertgehänge auf dem Rücken. Er brauchte länger als eine Stunde, bis er im Halbkreis um die Mauern gewandert war. Durch eine breite Lagergasse brachten ihn seine Schritte an den westlichen Rand der Zeltstadt, in der Raimund von Toulouse und sein Gefolge sich ausgebreitet hatten. An vielen Stellen ertönte schon jetzt der Schlachtruf der Gewappneten von Burgund, Aquitaine, dem Languedoc und der Provençe: »Toulouse, Toulouse!« Überall sah er Rüstungen, Kettenhemden und Waffen. Staubwolken schluckten das Sonnenlicht, und der stinkende, atembeklemmende Rauch aus dem unterhöhlten Turm breitete sich nach allen Richtungen aus.
An einem halb gefüllten Brunnentrog blieb Rutgar stehen, trank und kühlte Gesicht und Hände. Als er ausspuckte, war sein Speichel gelb und mehlig. In der lärmenden, krachenden Aufregung, die im Lager herrschte, achtete niemand auf Rutgar, dessen Blicke in den Gesichtern aller Männer forschten, die ihm begegneten. Ein Reiter stob an ihm vorbei, und Rutgar brachte sich mit einem Sprung in Sicherheit. In der Lücke eines Walls aus Holz, Steinbrocken und schiefen Palisaden blieb er stehen und sah zum Turm hinüber, der, von Rauch umwallt, vielleicht zwei-, dreihundert große Schritte entfernt hochragte. Das Prasseln und Fauchen des Feuers war lauter als die Geräusche der beiden Lager, Raimunds und Bischof Adhemars.
Kleine Gruppen sammelten sich zwischen den Zelten. Sprachfetzen, Flüche und Rufe in Rutgars Muttersprache wirbelten aus den Zelten durch die Lagergassen. Niemand wusste, wann endlich das riesige Gemäuer zusammenbrechen würde. Eines war sicher: Die Lücke würde breit genug für einen Sturmangriff sein.
Berenger hatte Rutgar und Cherso geraten, sich von den Verlockungen eines nächtlichen Kampfes fernzuhalten. Von Arkadios, Butumites' Schreiber, schien er geheime Neuigkeiten erfahren zu haben, oder beachtenswerte Gerüchte sickerten aus der Nähe des Generals in dessen Umgebung - es ging um die Übergabe der Stadt oder den Tag des Erstürmens. Obwohl die meisten jungen Männer, die Rutgar beobachtete, ihre Helme noch nicht trugen, hatte er auch heute Thybold nicht gesehen und auch niemanden, der seinem Halbbruder ähnlich sah.
Die Unruhe, die in allen Lagern vor Nikaia zu spüren war, nahm zu: Mehr brodelnder Lärm, eine größere Zahl Meldereiter und drängendere Gebete und Lieder der Pilger und Geistlichen. Rutgar dachte weder an Sünden, Buße oder Vergebung; tief in ihm nagte ein biblisches Tier, das Kukupetros
Weitere Kostenlose Bücher