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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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breiter und verzweigten sich. Einige Ritter lösten sich fluchend aus den Gruppen und stapften mit klirrenden Waffen zurück ins Lager. Aus dem Poltern und Knirschen, dem Splittern und steinernen Klirren wurde ein unirdischer Lärm, als aus dem unteren Teil des Turms einzelne Steinwürfel herauskippten, gegeneinanderprallten, sich in der Luft drehten, auseinanderbrachen und in den Boden einschlugen. Armlange Splitter und scharfkantige Brocken wirbelten und flogen durch die Luft, mit schauerlichem Getöse sackte der Turm in großen Rucken in sich zusammen und löste sich in einen Felsrutsch auf, der die Trümmer nach drei Seiten streute und Mauerteile in die Gassen der Stadt kippte.
    Der Boden bebte, die Mauern schienen zu schwanken, aus der Stadt ertönte schrilles Geschrei. Das Dröhnen setzte sich rund um die Stadt fort; Flüche, laute Gebete, Schreie, lärmend aufflatternde Vögel, wiehernde Pferde und die erschreckten Laute anderer Tiere verwandelten die Nacht in ein Gebiet höllischer Aufregung. Staubwolken, in denen die Fackelflammen erstickten, breiteten sich aus; aus der Stadt kamen abermals Entsetzensschreie und laute Befehle in fremden Sprachen.
    Dumpf polternd, kaum zu sehen in der Finsternis, rollten auseinanderbrechende Quader über den Boden und trieben die Wartenden auseinander. Während die Ritter zur Seite rannten und stolperten, liefen Knappen mit lodernden Fackeln herbei. Von der Mauerkrone an den Seiten des Durchbruchs heulten Brandpfeile herunter und blieben im Erdreich stecken. Ihre Flammen verbreiteten zuckendes Licht und schienen als Warnung gedacht zu sein. Der Lärm und das Poltern verebbten, der Staub senkte sich allmählich. Aus dem Dunkel ertönte eine laute, herrische Stimme:
    »Toulouse, Toulouse!« Graf Raimund von Toulouse und Saint-Gilles trat in den Lichtschein. Er hob den Arm im Kettenhemd und deutete mit dem Streitkolben auf den Bischof von Le Puy.
    »Sinnlos!«, rief der Einäugige. Saint-Gilles' Stimme klang hohl aus dem seltsamen Helm heraus. »Sie würden jeden von uns treffen. Und wir sehen nicht, auf welchen Trümmern wir uns Füße und Arme brechen.«
    »Was schlagt Ihr vor?«, fragte Bischof Adhemar laut. Auch er war in voller Rüstung. Seine Hand lag auf dem Schwertgriff. »Keinen Angriff?«
    »Lest uns eine Messe, Herr Bischof!«, rief Raimund und zerrte den Helm vom Kopf. Flammen spiegelten sich auf seiner Augenklappe. »Wohlversehen mit Gottes Segen dringen wir beim Morgengrauen ein.«
    Bohemunds mächtige Stimme ließ sich vernehmen. Der riesenhafte Normanne schob sich durch die Versammlung seiner Gepanzerten. »Ihr habt recht, Herr Raimund. Auch Tancreds Männer werden sich anschließen. Beim Morgengrauen!«
    Die Fürsten und ihr Gefolge starrten durch die Bresche, die breit wie eine Schlucht zwischen den Mauerkanten klaffte. Hinter dem dünnen Staub waren Lichter zu erkennen: Die Flammen wandernder Fackeln und Kerzen und Helligkeit, die durch kleine Fenster der Gasse hinter dem halb verschwundenen Turm fiel und das Gitterwerk von Mauerbrüstungen undeutlich erscheinen ließ. Der Kegel aus geborstenen Quadern und Schutt war noch immer ein Drittel so hoch wie eben noch der Turm.
    »Es ist so, wie er sagt.« Adhemars Brüder Franc-Lambert und Wilhelm Hugo traten an die Seite des Bischofs. »Wir würden uns nur selbst opfern, wenn wir in der Schwärze der Nacht dort eindringen und kämpfen.«
    Als hätten die Verteidiger die Einwände verstanden, flog in steiler Bahn ein Feuerkrug durch die Luft, zerschellte an der Vorderkante des Schuttkegels und verspritzte brennendes Öl nach allen Seiten. Bischof Adhemar schwenkte die Fahne, drehte sich zu den schweigenden Wartenden herum und rief mit seiner Predigerstimme:
    »Wir werden uns zurückziehen, denn über diesen Wall wagen die Sarazenen keinen Ausfall! Vor dem Morgengrauen, nach der Frühmesse, sammeln wir uns hier zum Angriff. Mit Gottes Segen beten wir die Mittagsandacht in Nikaias großer Kirche. Geht mit Gott, ihr Streiter des Herrn!«
    Langsam, ohne zu murren, meist in guter Ordnung, zerstreuten sich die Krieger. Die Fürsten warteten, bis man ihre Pferde herangeführt hatte, und saßen auf. Graf Hugo von Vermandois spähte ins Halbdunkel, schirmte seine Augen und sagte, ehe er angaloppierte, zu Balduin von Bouillon:
    »Seltsam. Sonderbar. Diese Nächte in der Fremde - mir war, als habe ich ein Wunder gesehen. Wunderbar, wie sich die Trümmer bewegen. Als ob unsichtbare Mächte am Werk wären.«
    Alberich von

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