Jerusalem
mit dem langen weißen Haar tauchte aus den fingerhohen Wellen auf.
Chersala schwang die Beine ins Boot und breitete die gefalteten Decken über den nassen Planken aus. Das Tageslicht war längst geschwunden, aber hundert Fackeln auf der Krone der Seemauer, einige Dutzend Feuer in den Lagern rechts und links des schwarzen Umrisses der Stadt und ein paar umherirrende Lichter am Ufer, wo sich die Pferdeknechte sammelten, spiegelten sich in der Wasserfläche. Rutgar starrte Chersalas nackten Körper an, als sähe er ihn zum ersten Mal. Er glaubte, Sternenglanz auf ihrem Hals und der breiten Goldkette funkeln zu sehen. Die Lichter schufen erregende Spiele auf der nassen Haut.
Rutgar und Chersala bewegten sich lautlos aufeinander zu und verschmolzen in der Höhlung des Bootes wie Wachs am Fuß einer tropfenden schwarzen Kerze. Warmer Südwind kräuselte bisweilen große Felder des askanischen Sees, doch von den beiden Liebenden hatte keiner Augen für dieses gewaltige Bild. Sie umarmten und küssten sich, und die Leidenschaft kam jäh über sie wie Sturzregen aus übersatten Wolken. Chersalas tiefer Kuss erinnerte Rutgar an die Nächte im schneeumtosten Häuschen am Rand Drakons, an den Glutkreis der Feuerstelle und an ein anderes Leben, das weit hinter ihnen lag.
Ihre Körper schienen zu glühen und pressten sich aneinander. Sie sanken ins Boot, Rutgars Knie prallte hart gegen die Ruderbank, seine Finger wanderten gierig über Chersalas Haut. Schwer atmend öffnete Chersala die Schenkel und bohrte die Finger in Rutgars Oberarme. Sie liebten sich wortlos, keuchend und heftig; das Boot begann zu schaukeln, immer heftiger, bis Chersalas leiser Lustschrei das Plätschern durchbrach. Er klang wie der Ruf eines Nachtvogels. Chersala legte ermattet die Arme um Rutgars Hals und zog sich halb in die Höhe.
»Endlich!«, flüsterte sie. Aus ihrem kurzen Haar liefen Tropfen über Hals und Brust. »Ich war halb verdurstet, halb verhungert und gierig ... nach dir. Wenn uns jemand sehen könnte - jetzt würde er wohl sehen, dass ich nicht Cherso, dein Knappe, bin.«
»Bisher haben wir's gut versteckt«, antwortete Rutgar und hielt sie heftig atmend fest, »ob es so bleibt bis Jerusalem - wer weiß?«
Er streichelte ihre Brüste, deren Spitzen sich aufgerichtet hatten. Über dem See, zwischen den schwarzen Hängen, flammten die ersten Sterne auf und spiegelten sich im Seewasser. Zwei Fackeln, winzige Lichter am Seeufer, bewegten sich langsam hin und her. Rutgars Blicke und seine rechte Hand wanderten über Chersalas ausgestreckten Körper, während sie leise miteinander redeten, sich gegenseitig halfen und ins Wasser rutschten, um sich zu reinigen.
Er spürte ihre Arme um seine Schultern, als sie ihn wieder zu sich ins Boot zog und die Beine um ihn schlang. Sie vergaßen die Nacht um sich herum, überließen sich abermals willig der Leidenschaft und liebten sich begierig und weniger hastig auf den feuchten Decken. Das Boot begann zu schaukeln, ohne dass sie es merkten. Keuchend löste sich Rutgar von ihr, strich das nasse Haar aus Chersalas Gesicht und streckte sich neben ihr aus. Aus der Stadt flogen rauchende Brandgeschosse in flachen Bögen durch die Nacht, wie Sternsplitter, dann erklang dumpfes Poltern. In den Lagern schrien wirre Chöre der Angreifer durcheinander.
»Berenger wird nichts sagen«, flüsterte Chersala. »Aber irgendwann werden sie im Lager wissen, dass ich deine Liebschaft bin.«
»Im Durcheinander der Belagerung«, antwortete Rutgar, sprang ins Wasser, packte das Seil und begann das Boot herumzudrehen, »achtet keiner darauf. Und danach ziehen wir alle weiter.«
»Bis dahin dauert's noch.« Chersala kauerte sich ins Heck des Bootes und trocknete sich ab. Rutgar schwamm langsam zum Ufer, das Seil um den Unterarm geschlungen, bis er Boden unter den Zehen fühlte. Er drehte sich um und sah zu, wie sich Chersala in Cherso verwandelte. Ein junger Pferdeknecht hielt drei ungesattelte Pferde und schwenkte die Fackel.
»Hierher, Ritter Rutgar!«, rief er und wartete, bis Rutgar sich angekleidet hatte. »Herr Berenger wartet im Lager.«
»Danke«, sagte Rutgar, zog das Boot auf den Sand und streckte den Arm aus. »Er hat es uns versprochen. Reite uns mit dem Licht voraus.«
»Folgt mir, Herr.«
Rutgar half Chersala aus dem Boot und auf den Rücken ihres Pferdes, zog sich selbst am Hals des Rappen hoch und wartete, bis der Junge aufgestiegen war. Der Halbmond, dessen Licht auf Chersos glattem Scheitel
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