Jerusalem
Sultan-Kilidsch-Leute!«
Er bedeutete Rutgar und Chersala, kurz zu warten. Es dauerte kaum länger als zweimal den zehnten Teil einer Stunde - während die Sonne hinter den Hügeln aufstieg und das Land mit kühler Helligkeit überschüttete -, bis die letzten Muslime Nikaia verlassen hatten. Ungefähr zweihundert Reiter flankierten den Zug und schlossen hinter seinem Ende auf. In mäßiger Schnelligkeit bewegten sich einige Tausend Menschen auf der Straße nach Norden, während die fränkischen Fürsten und ihr Anhang begriffen, welchem Trugschluss sie aufgesessen waren. Rutgar und Chersala, die in der letzten Gruppe an Fuhrwerken vorbeiritten, die Wasserfässer zum Lager brachten, hörten die enttäuschten Rufe und die unchristlichen Flüche, die hinter ihnen herschallten.
Zehn Meilen weiter nördlich, am Feuer eines flüchtigen Lagers, schrieb Rutgar, was ihm Berenger vorsagte:
Ich weiß aber erst seit wenigen Stunden, dass der Kaiser im Geheimen mit der seldschukischen Besatzung verhandelt und allen freien Abzug, mitsamt den Familien und den Schätzen, zugesichert hatte. Nachts öffneten sie das Seetor einen Spaltbreit, und die bewaffneten Petschenegen-Söldner der Generale Tatikios und Butumites schlichen sich nach Nikaia hinein. Sie gehorchten dem Befehl, Plünderungen und Gewalttaten zu verhindern. Mit ihren Pferden, ihrem Besitz, ihren Frauen und Kindern, die sie in eckigen Zelten auf Kamelrücken versteckten, haben die Seldschuken die Stadt durch das Konstantinopel-Tor verlassen, ohne dass sie angegriffen wurden. Auch die Sultanin, eine Tochter des Emirs Tschaka, sollte mit ihren Kindern des Basileus Gast zu Konstantinopel sein. Die Truppe des Generals schützte sie, und wir begleiteten sie zwei Tagesritte weit auf der Straße nach Pelekanon.
Als unsere Boten den Kaiser erreichten, der zu Pelekanon sein Lager aufgeschlagen hatte, schickte er vorbereitete Reiter mit Botschaften und viele Gespanne mit Proviant, Wein und Lebensmitteln. Jeder Belagerer sollte reiches Essen erhalten und auch Münzen; die Fürsten und ihre engsten Vertrauten lud Alexios Komnenos nach Pelekanon ein. Als wir durch eine frische Söldnertruppe abgelöst wurden, lagerten wir einen Tag lang und ritten daraufhin nach Nikaia zurück.
Alle Tore standen nur halb offen. Die Fahnen des Kaisers wehten auf den Türmen. Viele Kranke und Verwundete waren in die Stadt getragen worden, wo sich Heiler und Wundärzte ihrer angenommen hatten. Leben und Gesundheit der Bewohner waren unversehrt geblieben. In der Zeit, die inzwischen verstrichen war, hatten die fränkischen Herren ihr Erstaunen und ihre Enttäuschung überwunden, und Stephan von Blois, Raimund von Toulouse und Tancred ritten nach Pelekanon, wo sie, wie wir erfuhren, mit Haufen von Gold beschenkt werden sollten. Die Ritter, wegen des scheinbaren Betrugs vom Groll gegen die Rhomäer beseelt, die in den Lagern geblieben waren und die Stadt meist nur in kleinen Gruppen und zu den Messen in den christlichen Gotteshäusern betraten, drängten einander, zum Aufbruch zu rüsten und den Marsch nach Antiochia zu beginnen. Söldner des Basileus sorgten für Ordnung und Ruhe. Man wolle auf die drei Anführer warten, die Lager abbrechen und sich auf den Weg machen. Die Mönche schrieben Briefe, die Anführer siegelten sie, und Sendboten brachten die Nachricht vom Fall Nikaias in alle Welt.
Tagelang hatte Jean-Rutgar schwitzend und keuchend geholfen, die Belagerungstürme und die Wurfmaschinen auseinanderzunehmen, dünne und dicke Seile und Tauwerk aufzurollen und sicher zu verschnüren und die Fuhrwerke zu beladen. Er und Chersala hatten Dutzende Gerüchte gehört und hundert verschiedenen Fragen nachgegrübelt, Verwundete in die Stadt getragen und miterlebt, was die Befehle des Basileus bewirkten: Jeder Pilger und jeder Bewaffnete, der in Nikaia siedeln wollte, und jeder, der die verwüsteten Haine, Felder, Äcker und Weiden pflegen und pflügen wollte, durfte bleiben, als neuer Untertan des Basileus in einem fruchtbaren Land. Viele Menschen blieben, weil auch sie wussten, dass der Weg nach Antiochia gefährlich und beschwerlich werden würde - im Süden lauerte der Sultan Kilidsch Arslan mit seinem Heer, das seit der Niederlage vor Nikaia eher größer und entschlossener sein würde als je zuvor.
Berenger hatte seine Habseligkeiten in zwei Ledersäcken untergebracht, die er hinter den Sattel binden konnte. Acht Tage nach der Öffnung der Stadttore war Butumites' Lager bis auf wenige
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