Jerusalem
lang kein Führer von Gläubigen mehr, Rutgar.«
Der Esel - ein junges Tier, wie Rutgar feststellte, und er erinnerte sich daran, wie er den Eremiten auf dem Marsch nach Ikonion zu Fuß gesehen hatte, nachdem sein treues Reittier verendet war - schüttelte den Kopf und nässte die Gesichter der Männer mit Regenwasser. Rutgar hob die blakende Fackel und leuchtete in Peters bärtiges, zerfurchtes Gesicht. Das Feuer in den Augen des Predigers schien erloschen zu sein.
Bartholomäus, Peters Begleiter, sagte unwillig: »Wir müssen weiter, solange wir noch ein wenig Licht haben. Dort vorn soll es warmen Sud und Brot geben.«
Rutgar hob die Hand. Beim Anblick dieses Paares, das einander so ähnlich war, war ihm endgültig bewusst geworden, dass die Veränderung, die in ihm selbst vorgegangen war, die unzählbar vielen Tausend Schritte mit Peter, in ferner Vergangenheit, bedeutungslos hatte werden lassen. Bartholomäus ruckte am Führungsseil des Esels, Peter von Amiens wandte sich ab und zog die Kapuze tief in die Stirn. Rutgar trat einen Schritt zurück und brachte die Flämmchen der Fackel in Sicherheit.
»Geht mit Gott«, sagte er leise. »Euer Weg sei gesegnet. Jerusalem ist ferner, als wir glauben. Viele werden es nicht erreichen.«
Peters Antwort kam, durch die Kutte und den Regen gedämpft, zurück:
»Aber ihre frommen, tapferen Seelen werden zum Himmel auffahren, Ritter Rutgar.«
Der Eremit griff nach dem Sattel und stolperte, als der Esel, aus dessen Mähne und Schwanz das Wasser tropfte, den Kopf senkte und weitertrippelte. Rutgar zog sich in den Schutz des Felsüberhangs zurück und sah, als er sich auf den Steinbrocken setzte, dass Chersala schlief, den Rücken an den Bauch des Rappen gelehnt.
Nachts versuchten die Wandernden meist vergeblich, Feuer oder Fackeln anzuzünden; nur die Kundschafter des Generals, die ihre Fackeln in Säcken aus geöltem Leder trugen, schafften es manchmal, Feuer zu schlagen. Zwischen den Felshängen kreischten die Todesschreie der Stürzenden, die in der Finsternis gestolpert waren, zusammen mit dem Poltern berstenden Gesteins als Echos hin und her. Die gemurmelten Gebete und die zaghaften Lieder der Verzweifelten und Kranken erfüllten die Schluchten mit schauerlichem Gesumm.
Inzwischen waren einige Hundert Menschen zu Tode gestürzt oder an Entkräftung gestorben. Alles, was aus Eisen war, begann unterschiedlich stark zu rosten, sogar Schwertklingen in den Scheiden. In den Linien der Kletternden schwankten nur wenige Lichter; selbst die Frömmsten begannen das Gebirge zu verfluchen und ihr Schicksal zu beklagen. Rutgar und Chersala hatten einander geschworen, zusammenzubleiben und keinen unbedachten Schritt zu tun. Die Truppe des Generals überlebte mit geringen Verlusten die Schinderei, indem sich nachts kleine Gruppen Reiter und Pferde in Felsnischen und winzigen Lichtungen zusammendrängten und es bisweilen schafften, Suppe oder Kräutersud zu erhitzen oder gar zu kochen. Die Feuer, deren Rauch ätzend durch die Nächte zog, brannten unter Zeltleinwänden in großen Kesseln oder seltsamen Bauwerken aus Steinen und Felsplatten.
Am 17. Tag des Weinmonds wichen die tief treibenden dunklen Wolken, die Schluchten wandelten sich zu grasbewachsenen Hängen. Wenig später verbreiterten sich die Pfade und mündeten, wie Bäche in einen Fluss, im Lauf einiger Wegstunden wieder zur Straße, die über sanfte Hügelflanken ins Tal führte. Für wenige Atemzüge breitete sich vor den Augen der Pilger eine Ebene aus, an deren Ende sich die Stadt Germanikeia wie die Verheißung des irdischen Paradieses zeigte.
Die Wolken rissen auf, der Regen plagte die Pilger nicht mehr länger, und die Sonnenhitze eines neuen Tages verwandelte die Welt in eine gewaltige Wolke aus Dampf und Nebel, in der niemand weiter sehen konnte als drei Schritte. Von jedem Stück unbedeckter Haut tropfte Wasser, ebenso aus Mähnen und Fell der Reittiere. Die Kundschafter versammelten sich, stolpernd und auf Zurufe und Flüche achtend, um die triefenden Fahnen von General Tatikios.
Die Sonne des späten Vormittags, zuerst nur als weiß glühende Scheibe im Nebel zu sehen, löste den Nebel auf und zeigte den Pilgern eine Gruppe Ritter, die von Germanikeia kamen und auf die Spitze des eigenen Heeres zutrabten. Rutgar erkannte mit Mühe die Fahne, die Peter von Castillon auf seinem Erkundungsritt mitgeführt hatte.
Während sich die Pilgerschar zu erholen versuchte und die Kranken versorgte, während man die
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