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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Namen der Verschwundenen festzustellen begann und die erschöpften Wanderer in kleinen Abteilungen nach Germanikeia wankten, erfuhren die Heerführer, dass die Kundschafter in einer Burg am Orontes, besetzt von abgefallenen armenischen Christen, gehört hatten, dass die Sarazenen den Angriff auf Antiochia vorausahnten und Verstärkung aus allen Richtungen zur Stadt unterwegs war.
    Berenger führte sein Pferd heran und begann den Sattelgurt zu lösen. Er musterte Chersala und Rutgar, nickte schwer und sagte:
    »Fürst Thatul, ein armenischer Fürst, kam vor Jahren aus Konstantinopel. Er ist rechtgläubiger Christ und dem Basileus treu. Es wird uns allen gut gehen in seiner Stadt.«
    Chersala zog die Trense aus dem Maul ihres Pferdes und antwortete: »Es heißt, dass um die viertausend Pilger im Gebirge gestorben seien.« Sie deutete auf die Berge, die im vollen Sonnenlicht im Rücken des Pilgerzugs als unbesiegbarer Wall prunkten. »Sie zählen und zählen, aber jede Zählung ergibt, dass mehr Kinder, Frauen und Männer, Knechte und Ritter fehlen.«
    »So viele haben die Seldschuken bisher nicht mit ihren Pfeilen und Krummschwertern töten können«, sagte Berenger heiser. Er deutete zur Stadt. »Kommt! Dort warten trockene Quartiere und gutes Essen.«
    Die Kundschafter führten ihre Pferde und Saumtiere, die mit hängenden Köpfen folgten, am lockeren Zügel. Auf dem Weg zur Stadt erfuhren die Pilger, dass Godehilde, die Gemahlin Balduins von Boulogne, todkrank auf einer Trage und später auf einem der wenigen Karren, die jene furchtbare Gebirgsüberquerung überstanden hatten, nach Germanikeia gebracht worden sei; auch ihre Kinder litten unter Husten, Fieber und Auszehrung.
    Wieder lagerten die Franken innerhalb der Stadtmauern und im Kreis um die Stadt, und in ihrer Schwäche und Erschöpfung nahmen sie dankbar und verwundert wahr, dass die Stadtbewohner sie mit allem, worüber sie verfügten, geradezu verwöhnten.
 
    An Bruder Odo und Bruder Rasso zu Cluny im Clunisois bei Mâcon in Frankreich schreibt Jean-Rutgar aus Les-Baux:
    Viel Seltsames haben die Ritter berichtet, die Herrn Peter von Castillon, Tancred von Tarent und Balduin von Bouillon begleiteten. Die Muslime sammeln sich in Antiochia und verwandeln die Stadt in eine Festung, gegen die alle Heere der »Ungläubigen« vergeblich anrennen und vor deren Mauern sie verbluten und verhungern sollen. Die Hoffnung, dass die Muslime auch Antiochia kampflos übergeben, ist also dahin, aber kein Ritter fürchtet sich, denn Gott ist mit ihnen.
    Herr Balduin von Boulogne, der mit seinen Lehensleuten und einigen Dutzend Soldaten, die von den Piratenschiffen kommen, zum Hauptheer zurückgekehrt ist und um das Leben seiner Gemahlin bangt, kämpfte sich zum kilikischen Pass und kämpfend von Dorf zu Dorf und folgte dem Normannen Tancred, der auf Tarsus zuritt und die Stadt am 21. Tag des Herbstmonds erreichte. Dorther, dem Geburtsort des Apostels Paulus, wo er lange gewohnt und gepredigt hatte, kamen in Scharen Seldschuken des Sultans und stellten sich zum Kampf gegen die Unsrigen vor den Mauern. Aber Tancred, der entschlossen war, ein reiches Lehen zu erobern, drang mit dreihundert Kriegern todesmutig auf die Muslime ein, schlug sie in die Flucht, und sie zogen sich in die Stadt zurück. Tancred aber hatte Boten zu Bohemund gesandt und um Hilfe beim Kampf gebeten.
    Tancreds Vetter Balduin von Bouillon, der drei Tage später zu Tancred stieß, wollte von ihm, dass er sich die kostbare Beute mit ihm teile, aber Tancred weigerte sich, obwohl Balduin fünfmal so viele Ritter und Fußkämpfer mit sich führte. Man berichtete uns, dass es ernsthaften Streit gegeben habe, der am nächsten Morgen durch Vermittlung der Besonnenen aber hinfällig war. Wieder fügte es der Herr, dass sich nachts die Seldschuken heimlich aus Tarsus hinausschlichen und flüchteten, denn sie hatten die Übermacht der Unserigen gesehen. Die armenischen Bewohner kamen in Scharen, um die fränkischen Ritter zu begrüßen.
 
    Wahrscheinlich betrachtete Guibert von Nogent die Geschehnisse der vergangenen Wochen mit gebührendem Abstand, mit der Schärfe seines Verstandes und in der Sicherheit des Glaubens anders als Rutgar; Rutgar hätte gern gelesen, was Guibert schrieb. Er hob müde den Kopf und sah sich um. In Umkreis des kleinen Gutshofs weideten die Pferde zwischen Schafen und Ziegen. An Seilen trocknete Kleidung, die armenische Frauen geflickt und gewaschen hatten, Sättel lagen umgedreht in der

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