Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
Vom Netzwerk:
Stunde, Ritterlein«, sagte Berenger. Aber in diesem Wort lag keine Herablassung mehr, kein Hauch der Überlegenheit, sondern Anerkennung. Er deutete auf die weidenden Reittiere. »Bald reiten wir weiter. Macht's wie unsere Pferde. Esst, trinkt und schlaft ... zusammen.« Er lächelte Chersala an. »Antiochia ist nahe. Aber Jerusalem ist weit.«
    Rutgar wickelte das Pergament zusammen. Es war völlig trocken. Er legte den Kopf in den Nacken, rollte mit den Schultern und stöhnte, dann sagte er leise: »Ja. Allzu weit. Und jetzt gibt es endgültig kein Zurück mehr, Liebste.«
    Berenger blinzelte. Um seine Augen lagen schwarze Schatten. Er hielt den Atem an, legte die Hand hinter das Ohr und lauschte dem Lärm, der sich im Lager Gottfrieds erhob. Nach einer Weile sagte er:
    »Godehilde, die Gattin Balduins von Boulogne, ist gestorben. Jetzt ist er wieder arm, denn es gibt keine Erbschaft von seinen Schwiegereltern.«
    Rutgar zuckte mit den Schultern und machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Die langen Ritte und die Kämpfe haben ihm nichts genutzt, nichts eingebracht.« Er nickte zum Zeltlager hinüber. »Ich habe gehört, dass viele Ritter bis zum Frühling hier ausruhen und auf ein neues Heer aus Frankreich warten wollen.«
    »Nichts da, im Namen des Herrn, hat Graf Raimund gerufen«, antwortete Berenger und grinste. »Gott half uns bei Nikaia, und er wird auch die Mauern Antiochias umstürzen. Überdies, hat er gesagt, ist die Stadt nur ein paar Tagesritte entfernt.«
    »Also steigen wir übermorgen wieder in den Sattel«, sagte Chersala. Sie hob die Hände und starrte die schmutzigen, zersplitterten Fingernägel an. »Auf nach Antiochia!«
    Noch bevor der Feldzug im Morgengrauen weiterging, erfuhren die Pilger, dass auch die Kinder Balduins und Godehildes der Erschöpfung und der würgenden Krankheit erlegen waren.
 
    Zwei Dutzend Späher und Kundschafter, von zwei jungen armenischen Landeskundigen begleitet, ritten in der Mitte der leidlich breiten Straße. Sieben Reiter verteilten sich rechts und links, abseits des Weges und schräg voraus; sie würden vor einem Hinterhalt warnen. Alle Kundschafter trugen ihre Helme, Kettenhemden, eisenverstärkten Panzerjacken und sämtliche Waffen.
    Chersala drängte ihr Pferd zwischen Berenger und Rutgar. »Wisst ihr etwas über Antiochia, was ich noch nicht weiß?«
    Rutgar lauschte der Frage nach und dachte verwundert: Sie ist einen beschwerlichen Weg gegangen, von Drakon bis hierher, und sie hat mehr gelernt als ich. Reiten, Kämpfen, Überleben in Durst und unendlicher Mühsal und anderes, Wichtiges: fremde Sprachen und Länder, Sitten und die Absonderlichkeiten der Menschen. Sie ist stärker als ich. All die Entbehrungen haben sie schöner und reifer werden lassen. In ihren Träumen und Gedanken, ebenso wie in Rutgars, wuchs Antiochia zu absonderlicher Größe, goldener Pracht und schwarzer, tödlicher Bedrohung.
    Berenger antwortete bereitwillig: »Man nennt Antiochia die Perle am Orontes, einst die drittgrößte Stadt der bekannten Welt. Fünfundsiebzig Jahrzehnte alt. Nur einen scharfen Tagesritt vom Meer entfernt. Dort finden wir die Hafenstadt Sankt Simeon. Tutusch, Sultan Malik Shahs Bruder, sollte die Seldschuken gegen andere Muslime, die Fatimiden, verteidigen und war erfolgreich, bis der Turkmene Yaghi-Siyan zum Statthalter in Antiochia gemacht wurde. Tutuschs Söhne Duqaq und Radwan eroberten Damaskus und Aleppo. Namen, die wenig bedeuten.«
    Er sah weder Chersala noch Rutgar an; seine Blicke suchten die Hänge abseits der Straße ab.
    »Denn ist es nicht der«, fuhr er fort, »wird's bald ein anderer. Die Muslime sind untereinander meist uneins, und das macht sie zu schwachen Gegnern. Vor etlichen Tagen hat Yaghi-Siyan alle Priester und alle Christen, die kämpfen können, aus der Stadt vertrieben - unsere besten Verbündeten.«
    Aufregung herrschte entlang des vorrückenden Zugs. Vertriebene Christen, die einen Unterschlupf suchten, jubelten dem Heer zu und berichteten, wie der Emir in Antiochia hauste. Tatikios' Späher sammelten alle Nachrichten und wussten bald, dass die Belagerung schwierig werden würde. Denn nicht alle Tore konnten von den Belagerern bewacht und versperrt werden. Und durch diese Schlupflöcher konnten Seldschuken aus Aleppo, Damaskus, Mosul und Edessa zur Verteidigung in die Stadt geholt werden, mit Waffen, Ausrüstung und Proviant. Die Namen der Städte sagten Rutgar wenig, weniger noch als die Namen der Grafen, Fürsten und

Weitere Kostenlose Bücher