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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Sonne, über einem Dutzend großer Feuer hingen Kochkessel. Tatikios' Kriegsknechte putzten Waffen und pflegten ihr Lederzeug, während drüben im Lager der Ritter, zwischen trocknenden, stinkenden Zelten, Totenmessen gelesen und für die Kranken gebetet wurde. Es schien abermals, als ob plötzlich viele Tausende Menschen ihr rastloses Vorwärtsstreben vergessen hätten und, halb trunken und erschöpft, jeden Sonnenstrahl auffangen wollten.
    Selbst das Pergament dünstete sauren Geruch aus. Rutgar rückte das Schreibbrett in den Schatten und spitzte die Feder, um weiterzuschreiben.
 
    Die Stadtbewohner wollten aber weder von Konstantinopel noch vom Sultan regiert werden. Als die Seldschuken aus Tarsus geflohen waren, wünschten die Bewohner, dass Tancred ihr neuer Herr würde. Als Balduin die reiche Stadt plündern und brandschatzen wollte, verbot es ihm Tancred, obwohl sein Heer das kleinere war. Balduin vertrieb ihn aber aus Tarsus, und als die dreihundert Normannen, die Tancred zur Hilfe gerufen hatte, vor den Stadttoren erschienen, verbot Balduin ihnen, in die Stadt zu reiten. Aber seine eigenen Leute ließen in Körben Essen und Wein zu den Rittern hinunter.
    In der folgenden Nacht kamen die vertriebenen Seldschuken wieder, fanden die Tore verschlossen und griffen mit großer Übermacht die tapferen Normannen an und metzelten jeden der dreihundert Ritter nieder. Als die Lehnsleute Balduins am Morgen des Grauens gewahr wurden, beschuldigten sie ihn, den Tod der tapferen Christen nicht verhindert zu haben; vor ihrer Wut flüchtete Balduin in einen sicheren Turm.
    Aber nun kamen fremde Schiffe in den Hafen von Tarsus. Guynemer von Boulogne, ein reicher Pirat, befehligte die Mannschaft aus Dänen, Flamen und Friesen. Er erkannte, dass Balduin der Sohn seines einstigen Landesherren war, und schloss sich ihm ohne Zögern an.
    Balduin ließ eine starke Besatzung mit Guynemer als Befehlshaber in Tarsus zurück, nahm einige Dutzend Piraten in seine Gefolgschaft auf und ritt nach Osten, auf Mamistra zu. Er wusste aber nicht, dass Tancred zuerst nach Adana, dann nach Mamistra gezogen war, was ihm Fürst Oschin von Lampron, ein Fürst aus diesem Land, geraten hatte. Aber als Balduin dort angelangt war, musste er erkennen, dass Tancred mit Hilfe des Ritters Welf, eines Manns Balduins, die Stadt schon besetzt hatte und nun den Herrn Balduin nicht hineinließ. Tancreds Ritter forderten ihren Herrn auf, Balduin für den Verlust der dreihundert erschlagenen Normannen zu bestrafen, aber als sie Balduins Truppen angriffen, schlug er sie blutig zurück. Daraufhin mussten sich Tancred und Balduin abermals versöhnen.
    Als aber ein Bote, von Gottfried von Bouillon ausgesandt, Balduin die Nachricht von der schweren Krankheit seiner Gemahlin überbrachte, ritten er und seine Gefolgsleute hierher nach Germanikeia, und nun sitzt er, wie man mir sagte, neben seinen todkranken Kindern am Sterbebett von Frau Godehilde. Von Berenger weiß ich, dass wir am 16. Tag dieses Monats wieder aufbrechen werden, und Berenger weiß es von General Tatikios.
 
    Rutgar kramte in dem Haufen, der auf einer trockenen Decke lag; auch der Ledersack trocknete, nach außen gekehrt, noch in der Sonne. Er zählte die Kerben in seinem Holzstäbchen und rechnete. Es waren schon mehr als hundert Tage, doch er war sich nicht sicher, ob die Zählung wirklich stimmte. Sollte er weiterschreiben? Welches Wissen brauchte Herr Neidhart? Dass die einfachen Knechte und viele Pilger dem General und dessen Kundschaftern misstrauten? Dass sie die Ortskundigen anklagten, sie über unbegehbare Pfade geführt zu haben? Dass sie nicht verstanden, dass nach mehr als zwanzig Jahren Kämpfen, Krieg und jährlich wechselnder Herrschaft selbst steinerne Brücken, Straßen und Furten zerstört waren? Dass der Basileus hinter dem christlichen Heer mit seiner Flotte, die Johannes Dukas und Admiral Kaspax anführten, versuchte, jede Eroberung der Christen für seine Herrschaft zu festigen, war gerade noch, außer Tatikios, Bischof Adhemar und Gottfried von Bouillon bekannt.
    Rutgar schüttelte den Kopf und stöpselte das Tintenkrüglein zu. Schritte näherten sich; Berenger und Chersala. Sie setzten sich zu Rutgar auf die sonnenheiße Bank und betrachteten die schwarzen Zeichen auf dem Pergament, dessen Enden sich einzurollen begannen.
    Rutgar blickte in ihre Gesichter, die trotz der Bräune, des Bades und des Duftöls von den Anstrengungen der letzten Zeit gezeichnet waren.
    »Nütze jede

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