Jerusalem
um Entsatz vor Antiochia gebeten, dann hatte er von Kerbogas gewaltigem Heer erfahren und nach langem Zögern Tatikios beschlossen, mit wenigen Vertrauten dem Johannes Dukas entgegenzuziehen. Berenger begleitete ihn, die Belagerungsmaschinen und deren Handwerker ließ Tatikios zurück. Obwohl die Manganen, Schleudern und Katapulte längst zusammengebaut waren, war es noch keinem Ritter in den Sinn gekommen, mit ihrer Hilfe den Graben zu überwinden und eine Mauer zu berennen.
Chersala, Rutgar und Thybold hatten sich nach langer Beratung mit Berenger entschlossen, weiterhin an der Belagerung teilzunehmen. Tatikios übergab Rutgar den Befehl über drei Dutzend Kundschafter, ehe er nach Sankt Simeon aufbrach, um sich dort auf ein Schiff nach Zypern zu begeben. Berenger, der Tatikios begleitete, versprach, so bald wie möglich zurückzukommen.
Wie auch die Kämpfe ausgehen mochten, dachte Rutgar, die Stadt würde noch in diesem Sommer fallen. Wie Chersala und Thybold sehnte auch er sich danach, wieder einmal zwischen festen Mauern und unter einem dichten Dach auf einem weichen Lager schlafen zu können.
Kapitel XXVI
A.D. 1098; 1. BIS 2. T AG DES B RACHMONDS (J UNI )
V OR DEN M AUERN A NTIOCHIAS
»Denn als das Volk den Hall der Posaunen hörte, machte es ein großes Feldgeschrei. Und die Mauern fielen um, und das Volk erstieg die Stadt. Also gewannen sie die Stadt und verbannten alles, was darin war, mit der Schärfe des Schwertes.«
(Jos 6,20)
Als die Kundschafter auf erschöpften Pferden vor Jean-Rutgar aus den Sätteln glitten, erschreckten ihn allein schon ihre Gesichter. Der vorderste Späher, der schmalhüftige Rodmond mit dem geflochtenen Bart, nahm den Helm ab und holte tief Luft, dann sprudelte er hervor: »Es ist ein riesiges Heer, Herr Ritter. Hunderttausend Lanzen, die in der Sonne blitzen ... lauter Reiter in Weiß gekleidet, und die schwarzen Fahnen. Sie kommen von Edessa.«
»Wie viele Tage brauchen sie bis hierher?«, wollte Thybold wissen.
»Nicht länger als drei oder vier.«
Rutgar schlug dem Reiter auf die Schulter. »Ruf die anderen Männer zusammen. Sofort! Wir schicken Boten zu den Fürsten. Sie müssen ihre Ritter und Mannschaften zu den Waffen rufen. Thybold - reite zu Raimund von Toulouse.«
»Ich bin schon auf dem Weg!«, rief Thybold und rannte zu den Pferden. Rutgar folgte ihm und sattelte seinen Rappen.
Kaum eine halbe Stunde später stand Rutgar vor Bohemund; als er seinen Bericht beendet hatte, schüttelte der riesige Normanne langsam den Kopf. Seine weizenfarbenen Locken wirbelten durcheinander. In seinem bärtigen Gesicht erschien ein seltsames Lächeln.
»Setzt Euch, junger Ritter«, sagte er und winkte. Ein Bediensteter brachte Wein und Becher. »Es ist kein Geheimnis in unserem ruhmreichen christlichen Heer, dass ich im Zeichen des Kreuzes diese Stadt als meinen Besitz erobern will. Ich habe lange mit einzelnen Fürsten darüber verhandelt. Der rhomäische General weiß es längst, vermutlich wisst Ihr es auch.«
Rutgar nickte vorsichtig und ließ keine Bewegung des hellhäutigen Hünen aus den Augen. Bohemund, mehr als einen Kopf größer als Rutgar, schien vor Kraft zu bersten. Rutgar hatte den Fünfundvierzigjährigen in zahlreichen Kämpfen gesehen und bewunderte, halb staunend, halb schaudernd, Bohemunds rasende Stärke und seine Kunst, mit Waffen umzugehen. Jetzt schien in Bohemunds Kopf ein lang gehegter Plan ausgereift zu sein. Er hob den Becher, leerte ihn und sprach weiter.
»Doch nun ist der General abgezogen, und Alexios hat keinen Vertreter mehr hier vor Ort. Die Lage ist kritisch, die Gelegenheit günstig. Ich werde für das Heer die Stadttore öffnen; denn ich habe einen Freund in der Stadt, der uns hilft.«
Aus Bohemund sprach der unbedingte Wille, Antiochia zu erobern und sich zum Herrn dieser wichtigen Stadt zu machen.
»Ein Seldschuke? Ein Mann des Emirs?«, sagte Rutgar zweifelnd.
»Einer seiner Anführer. Ein Armenier, der sich als Muslim hat beschneiden lassen. Ich kenne ihn, seit wir mit der Belagerung angefangen haben. Er befiehlt über drei Türme in der Südmauer. Den Turm der zwei Schwestern und zwei andere, drüben, bei Tancreds Burg. Er wird mich und einen kleinen Trupp ausgewählter Männer über die Mauer in die Stadt einlassen.«
»Er will seine Stadt verraten?«, sagte Rutgar ungläubig. Bohemund schüttelte den Kopf und stieß ein lautes Gelächter aus, während er sich nachschenkte. »Warum hasst er Emir
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