Jerusalem
Zustimmung oder Angriffslust. Langsam ruckten unsichtbare Arme Seil und Leiter in die Höhe. Bange Atemzüge danach durchbrach ein Flüstern von hoch oben die Stille.
»Kommt!« Nur dieses Wort in griechischer Sprache.
Fulk von Chartres wisperte beschwörend: »Ich zuerst. Nicht mehr als vier Männer, sonst reißt die Leiter. Dann holt die Sturmleitern herauf.«
Er setzte den Fuß auf die Leiter und zog sich Hand um Hand, von Sprosse zu Sprosse. Die Ritter lauschten auf jedes verräterische Geräusch, aber es blieb still. Nur Stiefelspitzen scharrten über den rauen Stein. Kein Klirren, kein Warnschrei, keine schwirrende Bogensehne!
Robert von Flandern folgte als Nächster, Gottfried von Bouillon wartete hinter ihm, das Schwert auf dem Rücken. Zwei Ritter kletterten an der senkrecht hängenden Leiter aufwärts, als sich Fulk von Chartres über ein steinernes Fenstersims zog und in eine Kammer einstieg, in der eine einzige Kerzenflamme zuckte.
»Ihr seid so wenige. Wo ist Fürst Bohemund?« Fulk bedeutete dem Sprecher zu schweigen und zog langsam das Schwert aus der Schulterscheide; offensichtlich stand er Firuz, dem Verräter, gegenüber. »Sie kommen alle. Hilf ihnen.«
Nach und nach, ohne Hast und schwer atmend, aber leise, stieg ein Ritter nach dem anderen in die steinerne Kammer. Leise kratzten Waffen und Kettenhemden am rauen Stein der Quader. Die Gepanzerten halfen sich gegenseitig, nahmen die Schilde vom Rücken und zogen die Schwerter, rückten die Morgensterne und Streitkolben in den Gürteln zurecht und schlossen die Halsbergen der Kettenhemden. Firuz, ein stämmiger Armenier mit flinken schwarzen Augen und rückenlangem schwarzem Doppelzopf, sah schweigend zu und wich Schritt um Schritt zu der schmalen, eisenbeschlagenen Tür zurück.
Bohemund schwang sich ins Innere des Turms. »Die Leiter ist gerissen«, keuchte er. »Aber ich habe es noch geschafft. Die anderen müssen über die Sturmleitern kommen.«
Firuz erkannte ihn, lachte mit verzerrtem Gesicht und wies nach rechts und links. »Dort sind die Wehrgänge. Ich hab gesorgt, dass niemand auf den Türmen ist.«
Bohemund verteilte seine Männer. In der Kammer herrschte qualvolle, gefährliche Enge. Langsam öffnete sich die Tür nach außen. Die Ritter schoben sich vorsichtig hinaus ins Dunkel und tasteten sich an den Zinnen entlang, bis sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Die Bewaffneten handelten, obwohl sie ihre Umgebung nicht kannten, mit schlafwandlerischer Sicherheit. Mit wenigen Schritten überwanden sie den Raum zwischen den Türmen und drangen ein. Dreimal, viermal waren schwache Geräusche zu hören: unterdrückte Rufe, das Schwirren einer Schwertklinge, das grässliche Einschlagen scharfen Metalls in Körper, das Keuchen des Erschreckens, dann leises, schabendes Ächzen, wenn der Leichnam einer Wache zu Boden glitt. Tritte auf steinernen und hölzernen Stufen. Leise klirrend griffen die Haken einiger Sturmleitern ins Mauerwerk zwischen den drei Türmen, und Männer kamen heraufgeklettert.
Ein Dutzend Ritter bewegte sich schattengleich die Stufen bis zum Boden hinunter und rannten durch die Gassen hinter der Mauer nach Norden. Ihr Ziel war das Sankt-Georgs-Tor. Sie kamen unter den Bögen des Aquädukts vorbei, und je weiter sie liefen, desto mehr Lichter tauchten rechts und links ihres Weges auf. Jemand rief, in zweifelndem Tonfall:
»Die christlichen Eroberer! Helft den Rittern!«
Nur wenige Ritter verstanden die Bedeutung der Rufe. Aber sie hasteten weiter, im Schutz der Schilde und mit schlagbereiten Waffen. Die Nacht, deren Sternenschwarz zu verblassen begann, umfing noch immer die Stadt mit lastender Stille. Hin und wieder raschelte ein Windstoß über die Mauer und fuhr durch die Kronen der Bäume, die jetzt wie schwarze Riesenwesen wirkten. Seldschuken, die mit geschwungenen Krummschwertern aus einigen Häusern sprangen, wurden mitten im Lauf niedergehauen.
»Zu den Toren! Schneller!«
Das Geräusch vieler Schritte verstärkte sich. Es war, als würden Krieger hinter Türen und Fenstern aufwachen und sich dem Rennen anschließen. Von Türmen und Mauerkronen, auf denen kein Seldschuke mehr lebte, strömten einzeln und paarweise die Belagerer und schlossen sich dem Rennen an; hier eine Fackel, dort eine Kerze, ein brennender Strohwisch oder Licht aus einer aufgerissenen Tür wiesen den Weg, der in Schlangenlinien, dem inneren Sockel der Mauer folgend, zu den westlichen Toren führte.
»Heraus, ihr Christen!
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